Aufgaben 57 Vererbungsregeln und Humangenetik Gonosomal vererbte Erkrankungen Wie du auf Seite 55 gelesen hast, unterscheiden sich Mann und Frau genetisch deutlich durch die Gonosomen: Eine Frau besitzt zwei X-Chromosomen in jeder Zelle, ein Mann je ein X- und ein Y-Chromosom. Das X-Chromosom enthält etwa 1 000, das Y-Chromosom ca. 70 Gene. Nur 16 Gene haben X und Y gemeinsam. Schon früh in der weiblichen Entwicklung wird eines der X-Chromosomen weitgehend inaktiviert, um eine Überdosierung der X-Genprodukte zu verhindern. Es ist dem Zufall überlassen, in welcher Zelle einer Frau welches der beiden X-Chromosomen inaktiviert wird (das mütterliche oder das väterliche), das heißt, nicht alle Zellen einer Frau sind genetisch gleich. Das inaktive X-Chromosom erscheint im Mikroskop als BARR-Körperchen. Merkmale, die von Genen auf dem X-Chromosom bestimmt werden, erscheinen in der männlichen Linie immer im Phänotyp (weil der homologe Partner fehlt) – die Zellen sind hemizygot bezogen auf die Gonosomen. Überraschend viele Gene des X-Chromosoms codieren für Proteine, die mit der Gehirnfunktion zu tun haben (etwa dreimal so viele wie auf einem Autosom). Dies ist kein Zufall: Kognitive Fähigkeiten waren in der Evolution des Menschen besonders wichtig. Und durch die Konzentration entsprechender Gene auf dem X-Chromosom setzen sich Mutationen bei Männern sofort durch. Im X-chromosomal dominanten Erbgang erkranken alle Mutationsträger (Männer wie Frauen, kAbb. 24a). Hier gibt es nur sehr wenige krankmachende Mutationen, zB die angeborene Rachitis (Störung des Knochen-Mineralstoffhaushalts). Häufiger sind Mutationen im X-chromosomal rezessiven Erbgang zu finden (kAbb. 24b). Solche wirken sich bei Frauen nur im homozygoten Fall aus. Wenn eine Frau das rezessive Allel heterozygot trägt, ist sie dagegen eine Konduktorin. Beim Mann kann das Y-Chromosom den Fehler nicht kompensieren, es kommt also stets zur Erkrankung. Häufig ist etwa die Rot-Grün- Sehschwäche (kAbb. 25), bei der das Gen für das Protein Opsin, dem Proteinanteil des Sehpigments, verändert ist, oder die Hämophilie1 („Bluterkrankheit“). 1 Hämophilie: haima (griech.) = Blut, philia (griech.) = Neigung; Die Hämophilie ist eine Krankheit, die eine Störung der Blutgerinnung bewirkt. Das heißt, das Blut der Betroffenen gerinnt nur verzögert oder gar nicht. Je nach Schweregrad der Erkrankung sind die Symptome unterschiedlich, Erkrankte leiden nach Verletzungen unter längeren oder stärkeren Blutungen, auch Spontanblutungen können auftreten. Frauen besitzen die Gonosomen XX, Männer XY XdXd XDY XDXd XdY XDXd XdY XdXD XdY XDXd XDY XdXd XdY (D) (r) XRXr XRY XRXr XRY XRXR XrY XRXR XrY XRXr XRY XRXr XRY Konduktorin X-chromosomalrezessiver Erbgang X-chromosomaldominanter Erbgang Beispiele: angeborene Rachitis, erbliche Nachtblindheit, gelbbrauner Zahnschmelz Beispiele: Muskeldystrophie, Hämophilie, Rot-Grün-Sehschwäche Abb.24: X-chromosomale Erbgänge: Im rezessiven Erbgang (b) treten gesunde Frauen als Konduktorinnen auf. Abb.25: Rot-Grün-Schwäche: Personen mit Rot-GrünSchwäche erkennen die verborgene Zahl nicht. 9 % aller Männer und 0,8 % aller Frauen in Mitteleuropa sind von dieser Farbfehlsichtigkeit betroffen. Variabilität, Verwandtschaft, Geschichte und Evolution Durch die Konzentration entsprechender Gene auf dem X-Chromosom setzen sich Mutationen bei Männern sofort durch. Geht man davon aus, dass Frauen intelligente Männer als Väter ihrer Kinder bevorzugen und dass dies ebenfalls ans X-Chromosom gekoppelt ist, können sich intellektuelle Fähigkeiten schnell ausbreiten. Umgekehrt setzen sich hier auch ungünstige Mutationen bei Männern leichter durch. Statistisch gesehen gibt es daher bei Männern mehr hochintelligente, aber auch mehr gehirnkranke Personen. Im X-chromosomal dominanten Erbgang erkranken alle Mutationsträger, im rezessiven alle Männer 1 W Eineiige Zwillingsschwestern unterscheiden sich genetisch stärker voneinander als eineiige Zwillingsbrüder. Erkläre diesen Sachverhalt. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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