am Puls 8, Schulbuch

Aufgaben 31 Grundlagen der Genetik 1.9 Epigenetik und Retrogene Umweltfaktoren können die Genaktivität beeinflussen Lange Zeit war es die gängige Lehrmeinung, dass die DNA alleine festlegt, welche Proteine und damit welche Merkmale eine Zelle ausbildet. Jüngere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass auch Umweltfaktoren auf die Genregulation wirken, indem sie die DNA biochemisch verändern. Dieses junge Forschungsgebiet wird als Epigenetik1 bezeichnet. Damit ein Gen abgelesen werden kann, muss es für die RNA-Polymerase zugänglich sein. Im Chromatin ist die DNA um Histonproteine gewickelt. Transkription ist nur möglich, wenn die DNA relativ locker gepackt ist. Nun ist es so, dass die Packungsdichte durch chemische Veränderung von DNA-Bereichen beeinflusst wird. Eine Variante dieser Veränderung ist die Methylierung von DNA oder Histonen (kAbb. 27a). Dieses Anhängen von Methylgruppen (–CH3) bewirkt eine stärkere Spiralisierung der DNA und damit das Abschalten der betroffenen Gene. Eine gegenteilige Wirkung hat die Acetylierung von Histonen (kAbb. 27b). Dabei werden Acetylgruppen (–C(O)CH3) an die DNA oder Histone angehängt, was die Spiralisierung verringert und das Ablesen betroffener Gene fördert. Methyl- und Acetylgruppen bilden auf der DNA-Doppelhelix bzw. auf den Histonen ein typisches Muster. Dieses Muster wird als Epigenom der Zelle bezeichnet – es bestimmt die Genexpression der Zelle. Umwelteinflüsse beeinflussen also, wie die DNA abgewandelt und damit die Regulation der Genaktivität beeinflusst wird. Diese Änderungen werden auch bei Mitosen von Zelle zu Zelle weitergegeben. Wir können also die Genexpression durch unsere persönliche Lebensweise beeinflussen. Natürlich sind viele unserer Merkmale von der Umwelt kaum zu steuern, etwa die Blutgruppe. Andere Merkmale sind sehr wohl von der Umwelt regulierbar – doch in welchem Ausmaß? Gerade bei sehr komplexen Merkmalen wie zB Intelligenz, Talent, Übergewicht oder der Anfälligkeit für Krankheiten ist es sehr schwierig zu ermitteln, wie weit diese erblich sind und welchen Einfluss Umweltbedingungen haben können. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Ernährung, Erziehung, Sport oder starkem Medienkonsum und der Aktivität der Gene eines Menschen? Derartige vielschichtige Fragstellungen lassen sich nur durch umfangreiche Forschungsprojekte beantworten. Neben den Veränderungen an der DNA gibt es auch Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass auch RNA epigenetisch wirksam ist. So genannte mikro-RNAs können an mRNAs binden und so die Proteinsynthese hemmen. Eine weitere spannende Frage betrifft die Vererbung epigenetischer Änderungen. Grundsätzlich ist es so, dass das Epigenom während der Meiose wieder gelöscht wird. Man könnte auch sagen, dass auf diese Weise der nächsten Generation ein Neustart ermöglicht wird. Doch überraschenderweise ist diese „Reinigung“ des Genoms unvollständig, und so werden manche der erworbenen Markierungen über die Eizelle oder die Spermienzelle vererbt. Die Zygote ist also epigenetisch kein ganz „unbeschriebenes Blatt“, sondern hat bereits einen väterlichen und einen mütterlichen Stempel. Sie ist „genomisch geprägt“. Man nennt dieses Phänomen Imprinting. Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik konnten zeigen, dass auch epigenetische Instruktionen vererbt werden und so zur Regulation der Genexpression der Nachkommen beitragen. Nachdem Störungen bei epigentischen Mechanismen auch das Risiko für Krankheiten wie Diabetes oder Krebs erhöhen können, wird dieses Feld gegenwärtig intensiv beforscht – es besteht die Hoffnung, völlig neue Ansätze zur Therapie zu finden. 1 Epigenetik: epi (griech.) = dazu, darüber Epigentische Änderungen sind chemische Modifikationen der DNA, die die Aktivität der Gene beeinflussen Steuerung und Regelung Das Epigenom erteilt gewissermaßen Leserechte für bestimmte Gene. Je nach Art der epigenetischen Änderung (Methylierung oder Acetylierung) werden genetische Programme gestartet oder blockiert. Methylreste verdichten, Acetylreste lockern auf. —C(O)CH3 Acetylgruppe —CH3 Methylgruppe Histone DNA-Doppelhelix Chromatin Abb. 27: Epigenetik. Je nach Art der Modifikation wird die DNA stärker oder weniger stark verdichtet und damit die Aktivität der Gene beeinflusst. 1 E Um herauszufinden, inwieweit Umweltfaktoren Einfluss auf erbliche Merkmale haben, versucht man eineiige und zweieiige Zwillinge miteinander zu vergleichen. Erstelle eine Hypothese, wie die Zwillingsforschung helfen kann, epigenetische Änderungen nachzuweisen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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