Aufgaben 153 Bio- und Gentechnik Blick in die Forschung CRISPR/Cas9: Anwendung in Embryonen Genomeditierung gegen Unfruchtbarkeit? Manche Paare können auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen. Einige entscheiden sich dann für die In-Vitro- Fertilisation (IVF; siehe am Puls 6, S. 86). Doch selbst diese Methode funktioniert nicht immer. Eine Forschungsgruppe um Kathy Niakan vom britischen Francis-Crick-Institut hatte den Verdacht, dass dies an einem ganz bestimmten Gen liegen könnte: OCT41. Dieses Gen wird in den ersten Tagen der Embryonalentwicklung angeschaltet. Niakan und ihre Gruppe fanden heraus, dass sich nur in Anwesenheit des OCT4-Proteins ungefähr sieben Tagen nach der Befruchtung aus der Morula eine Blastozyste bildet (siehe auch am Puls 6, S. 60). Dabei handelt es sich um ein kugelförmiges, flüssigkeitsgefülltes Gebilde, in dem sich die Embryo-Zellen an einem Pol befinden (kAbb. 29). Methodik Für ihre Forschung hatte die Arbeitsgruppe 41 Embryonen genutzt, die bei IVF-Behandlungen übriggeblieben waren und deren Eltern sie der Forschung zur Verfügung gestellt hatten. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter schalteten OCT4 bei einem Teil von ihnen mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Methode aus (siehe S. 152). „Nach sieben Tagen wurde die Embryonalentwicklung gestoppt und die Embryonen analysiert“ (Zitat aus der Pressemeldung des Francis-Crick-Instituts vom 20.9.2017). Es zeigte sich, dass keine lebensfähigen Blastozysten gebildet werden, wenn OCT4 verändert ist. Therapiemöglichkeiten Diese Ergebnisse könnten erklären, warum manche Paare nicht schwanger werden. Möglicherweise könnte aufgrund dieser Erkenntnis eine Gentherapie entwickelt werden, mit deren Hilfe das mutierte Gen in Eizelle, Spermium oder Embryo gegen eine funktionierende Variante ausgetauscht wird. Nach Ansicht der beteiligten Forscherinnen und Forscher sind die Ergebnisse zudem für die Stammzellforschung von Bedeutung, da man nun ein Gen identifiziert habe, dass für die frühe Zellorganisation entscheidend sei. Bioethische Kritik Bioethisch ist diese Forschung in mehrfacher Hinsicht diskussionswürdig: •• Es werden Embryonen getötet. •• Es werden Embryonen genetisch verändert, also – je nach Ansicht – Menschen, die nicht selbst darüber befinden können, ob sie diesen Eingriff wollen. •• Sollte es zu Gentherapieversuchen an Eizellen oder Spermien kommen, würde direkt in die Keimbahn eingegriffen, also Geschlechtszellen verändert. Das hieße, dass eine Genveränderung vererbt werden würde – was sogar von vielen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern abgelehnt wird. 1 OCT4: Gen auf Chromosom 6 (beim Menschen), steht für „Oktamer- bindender Transkriptionsfaktor“: Ein Transkriptionsfaktor ist ein Protein, das die Transkription eines Gens in Gang setzt oder verhindert; Oktamer bedeutet achtteilig. In diesem Fall bindet das OCT4-Protein an die Basensequenz ATGCAAAT in Promoterregionen des Genoms und aktiviert dadurch die Transkription der Gene, die an diese Basenabfolge anschließen. Abb.30: In Embryonen mit funktionierendem OCT4-Gen bildet sich eine reguläre Blastozyste mit ca. 200 Zellen. Abb. 31: Kathy Niakan erforscht am Francis-Crick-Institut in London die genetische Steuerung des Zellwachstums während der frühen embryonalen Entwicklung. 2016 erhielt sie als erste Wissenschafterin weltweit die behördliche Genehmigung, das Genom menschlicher Embryonen für Forschungszwecke zu bearbeiten. 1 W Welche Inhalte aus den Themenseiten stecken hinter diesem Experiment? 2 S Nimm Stellung zu dem Absatz „Bioethische Kritik“ und begründe deine Haltung. 3 S Sprache kann viel über eine Haltung aussagen. Analysiere diesbezüglich das Zitat im obigen Text: Was bedeutet „gestoppt“ und „analysiert“ für den Embryo? Welches Embryonenbild steckt hinter dieser Aussage? 4 W Auch für Gentherapien (siehe S. 144) wird mittlerweile CRISPR/Cas9 genutzt. Im Februar 2024 erhielt Casgevy die europäische Zulassung. Recherchiere, gegen welche Erkrankungen diese Therapie eingesetzt werden soll und was einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter daran kritisieren (zB Deutsches Ärzteblatt). Literatur Fogarty, N. M. E.; McCarthy, A.; Snijders, K. E.; et al.: Genome editing reveals a role for OCT4 in human embryogenesis. In: Nature. 2017, I. 550, p. 67–73. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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