Aufgaben 152 Methoden in der Praxis CRISPR/Cas9: Nobelpreis für bahnbrechende Forschung Im November 2017 wurde einem 44-jährigen Patienten in den USA mit Hilfe von künstlichen Genscheren an einem bestimmten DNA-Abschnitt in Leberzellen ein funktionsloses Gen gegen ein funktionierendes Gen ausgetauscht. Das Verfahren heißt Genome Editing (wörtlich: „Genombearbeitung“), die Krankheit, an der er leidet, Morbus Hunter. Diese Krankheit beruht auf einer Mutation, durch die ein wichtiges Enzym in viel zu geringen Mengen gebildet wird. Dadurch reichern sich im Körper bestimmte Stoffwechselprodukte an, die in höherer Konzentration Nerven und Organe schädigen. Ob das Genome Editing im Fall dieses Patienten von Erfolg gekrönt ist, bleibt abzuwarten. Ähnlich wie bei Restriktionsenzymen (siehe S. 137) erkennen auch die neueren Genscheren eine bestimmte Basenabfolge. Die derzeit interessanteste Genschere ist das CRISPR/Cas9- System (siehe dazu auch S. 139). Denn es ist präziser, einfacher und billiger als bisherige Verfahren. Entdeckt wurde es im Erbgut von Bakterien bereits 1987. Dort zerstört es eingedrungenes Viren-Erbgut. Dessen DNA-Bruchstücke werden dann in das Bakteriengenom integriert und dienen dort als Erkennungssequenz für den Fall eines nochmaligen Virenangriffs – sozusagen ein bakterielles Immunsystem. Denn die aus ihnen transkribierten RNAs dienen CRISPR/Cas9 als Lotsensequenzen: Sie führen die Genschere zu komplementären Erbgutsequenzen in der DNA wiederholt eingedrungener Viren. Es dauerte 25 Jahre, bis man erkannte, dass CRISPR/Cas9 in allen lebenden Zellen (und damit nicht in Viren) funktioniert. Das war vor allem das Verdienst der Arbeitsgruppen um die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (die mit den wegweisenden Arbeiten dazu an den Max Perutz Laboren der Universität Wien begann) und der amerikanischen Strukturbiologin Jennifer Doudna (kAbb. 27), aber auch des amerikanischen Neurologen Feng Zhang. Indem man CRISPR/Cas9 künstlich mit einer bestimmten RNA-Lotsensequenz versieht, kann man zielgerichtet diejenige DNA-Sequenz schneiden und verändern, an die die jeweilige RNA-Lotsensequenz bindet. So lassen sich im Erbgut einzelne DNA-Basen oder kurze DNA-Abschnitte einfügen bzw. herausschneiden. Fügt man neue DNA-Abschnitte als Vorlage hinzu, kann durch homologe Rekombination auch eine längere DNA-Sequenz eingefügt bzw. ein DNA-Abschnitt ausgetauscht werden. Voraussetzung ist immer das Erzeugen eines Doppelstrangbruchs (kAbb. 28). Viele Forschungsgruppen weltweit versuchen, CRISPR/Cas9 künstlich zu verbessern und für verschiedene Verfahren tauglich zu machen. Erste CRISPR/Cas9-veränderte Pflanzen werden bereits im Freiland getestet. Auch für den Einsatz beim Menschen gibt es erste Studien. Es ist derzeit stark umstritten, ob CRISPR/Cas9 als Gentechnik einzustufen ist, sofern nur vorhandene Gene ausgeschaltet werden, zB durch punktuelle Deletionen einzelner Basen. Das Verfahren hat so großes Potential, dass Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna dafür im Jahr 2020 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde. Abb.28: Emmanuelle M. Charpentier und Jennifer A. Doudna. CRISPR/Cas-Komplex Leit-RNA Repeat-RNA Cas-Protein DNA-Schere neu einzubauendes DNA-Fragment Abb.29: CRISPR/Cas9. a) Aufbau eines CRISPR/Cas-Komplexes; b) Die RNA-Lotsensequenz findet die komplementäre Stelle in der Ziel DNA und Cas erzeugt einen Doppelstrangbruch – das Gen ist deaktiviert; c) Veränderte Cas-Proteine erzeugen Einzelstrangbrüche, wonach der zerschnittenen Ziel-DNA ein Fragment hinzugefügt werden kann – so kann zB eine Mutation repariert werden. a b c Cas-Proteine und RNA mit spezifischen RNA-Lotsensequenzen sind bei Spezialfirmen bestellbar. W 1 Beschreibe mit eigenen Worten die Funktionsweise von CRISPR/Cas9. Du kannst dafür Videos aus dem Internet zu Hilfe nehmen. W 2 Sind Organismen, die mit Hilfe von CRISPR/Cas9 entstanden sind, gentechnisch verändert? Diese Frage beschäftigte 2018 sogar den Europäischen Gerichtshof. Recherchiere im Internet verschiedene Ansichten dazu. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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