am Puls 8, Schulbuch

148 Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik – medizinischer Segen oder Selektion auf gewünschte Eigenschaften? 1932 erschien Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“. Darin beschreibt der Autor ein Staatssystem, in dem Menschen in Gesellschaftsschichten leben, für die sie aus künstlich erzeugten Embryonen gezüchtet wurden – mit all ihren Eigenschaften. Ganz so weit sind unsere technischen Möglichkeiten nicht. Doch mit Hilfe von Diagnoseverfahren kann man heute schon feststellen, ob ein Embryo an einer bestimmten Genmutation leidet, ob ein Kind im Mutterleib einen Herzfehler hat oder einen offenen Rücken, ob es sich um ein Mädchen oder einen Buben handelt. Bei der Pränataldiagnostik1 (PND) wird die Entwicklung von Organen und der Körperbau untersucht. Beispielsweise kann mit einem Ultraschallgerät die Nackentransparenz beim Fötus gemessen werden. Sie gibt Hinweise darauf, ob eine Trisomie vorliegen könnte, zB Trisomie 21. Allerdings bedeutet eine höhere Nackentransparenz nicht automatisch, dass ein Down-Syndrom vorliegt. Dafür ist diese nicht-invasive Methode zu ungenau. Andere anatomisch-morphologische Auffälligkeiten wie Herzfehler oder Wirbelsäulenschäden lassen sich recht exakt feststellen. Dadurch kann eine Operation direkt nach der Geburt oder sogar schon im Mutterleib vorbereitet werden. Chorionzottenbiopsie und Amniozentese sind invasive Methoden (kAbb. 24). Hier werden embryonale Zellen entnommen und auf genetische Störungen untersucht, was allerdings zu einer Fehlgeburt führen kann. Pränataldiagnostik hat zwei Seiten: Einerseits werden die Eltern auf mögliche Behinderungen oder Krankheiten vorbereitet und können schon während der Schwangerschaft über Therapien nachdenken. Andererseits können sich Paare unter Druck gesetzt fühlen, ein behindertes oder schwer krankes Kind abzutreiben. Hier kommt es zu einem ethischen Dilemma: Was den einen als Vermeidung von Leid oder unnötigem Pflegeaufwand erscheint, bewerten andere als selektive Tötung nicht erwünschten Lebens. Dies kann gesellschaftlich sogar in großem Maßstab erfolgen: Es gibt Länder, wo signifikant weniger Mädchen als Buben zur Welt kommen – eine Selektion nach Geschlecht! Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird ein künstlich erzeugter Embryo vor dem Einsetzen in den Uterus genetisch untersucht. Nicht erwünschte oder überzählige Embryonen werden eingefroren oder „entsorgt“. Wird es dazu kommen, dass massenhaft Kinder mit vorher bestellten Merkmalen geboren werden? Dann wären wir von der „Schönen neuen Welt“ nicht weit entfernt. Noch weiß man zu wenig über das Zusammenspiel der Gene bei vielen Merkmalen. Doch wie wird eine Gesellschaft damit umgehen, sollte man Embryonen auf Augenfarbe oder Intelligenz selektieren können? In Österreich ist die PID bisher nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Doch PID und PND haben in vielen Ländern die Haltung zum ungeborenen Leben verändert. 1 Pränataldiagnostik: prae (lat.) = vor, vorher, natal (lat.) = geburtlich Bei der PND werden Körper oder Zellen des im Mutterleib befindlichen Kindes untersucht Bei der PID analysiert man künstlich erzeugte Embryonen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 x y 19 20 21 22 Implantation ausgewählter Embryonen PND: Mit Ultraschalluntersuchungen lässt sich die Entwicklung ohne Eingriff verfolgen. PND: Bei der Chorionzottenbiopsie werden Zellen der Plazenta entnommen. Karyogramme und weitere Genanalysen liefern Hinweise auf mögliche genetische Defekte. PND: Bei der Amniozentese werden Zellen des Fruchtwassers entnommen. PID: Embryonale Stammzellen werden entnommen und Embryonen werden selektiert. Karyogramm Zygote PND PID Morula Morula Embryo, 8–10 Wochen Fetus, 14–16 Wochen Zygote nach In-vitro-Fertilisation Abb.25: Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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