am Puls 8, Schulbuch

Aufgaben 122 Methoden in der Praxis Das Dilemma mit Nahrung und Furcht vor Feinden Kann man experimentell überprüfen, welche Verhaltensstrategie optimal ist? Trade-offs sind gut erforscht, zum Beispiel an Populationen von Pflanzenfressern. Ein Standort mit gut bekömmlichen Nahrungspflanzen ohne Fressfeinde wäre für sie optimal. Ein solcher Standort existiert aber nicht oder wäre schnell abgeweidet. An vielen Standorten mit geringer Gefahr durch Fressfeinde sind gute Futterpflanzen rar. Umgekehrt gibt es viele Standorte mit reichhaltigem Futter, doch mit großer Gefahr durch Fressfeinde. Bevorzugen Pflanzenfresser dann eher die Variante „sicher, aber wenig ergiebig“ oder die Variante „gefährlich, aber sehr ergiebig“? Mit Hilfe von Experimenten kann man überprüfen, wie Tiere einen Ausweg aus diesem Dilemma finden. Zwergkaninchen ernähren sich in kalifornischen Wüstenarealen vorwiegend vom Wüsten-Beifuß. An offenen und gut einsehbaren Standorten sind die Zwergkaninchen beim Fressen von Kojoten und Uhus bedroht. An gut abgeschirmten Standorten mit Bebuschung ist diese Bedrohung viel geringer. Allerdings weisen die Nahrungspflanzen hier eine höhere Konzentration an Cineol auf. Cineol ist ein unbekömmlicher Inhaltsstoff, der den Zwergkaninchen zusetzt. Gutes Futter ist daher an sicheren Plätzen kaum zu finden. Bevorzugen die Tiere einen Standort ohne Feinddruck, aber mit minderwertiger Pflanzennahrung oder einen Standort mit Feinddruck und guter Pflanzennahrung? Zwei alternative Hypothesen wurden experimentell überprüft: 1. Im Laufe der Evolution haben die Individuen in einer Population eine optimale Verhaltensstrategie entwickelt. 2. Im Laufe der Evolution haben sich mehrere gleichwertige Kompromisslösungen entwickelt. Methode In Laborversuchen wurden neun Individuen aus einer Wildpopulation von Zwergkaninchen zwei Futteroptionen angeboten: 1. Wüsten-Beifuß mit geringem Cineolgehalt aus einer offenen Landschaft. Dieses Futter wurde ohne Versteckmöglichkeit dargeboten. 2. Wüsten-Beifuß aus einer Landschaft mit guten Versteckmöglichkeiten, aber mit einem höheren Cineolgehalt. Dieses Futter wurde mit Versteckmöglichkeit dargeboten. Ergebnis & Schlussfolgerung Die neun Individuen nutzten die beiden Futteroptionen sehr unterschiedlich (kAbb. 21). Es hat sich in der Population also keine optimale Verhaltensstrategie entwickelt, die von allen Kaninchen gleichermaßen angewandt wird, sondern vielmehr mehrere Kompromisslösungen. Die Ergebnisse stützen daher nicht Hypothese 1, sondern Hypothese 2. Wie eine Vielzahl solcher Experimente gezeigt hat, führt die Evolution nicht immer zum Bestehen einer Optimalstrategie. Eine solche würde zB bestehen, wenn alle Zwergkaninchen zu 2/3 ihres Futters an versteckten Futterplätzen und 1/3 an ausgesetzten Futterplätzen aufnehmen würden. Stattdessen existiert haufig eine Palette gleichwertiger Verhaltensweisen. Literatur: Utz, J. L.; Shipley, L. A.; Rachlow, J. L.; et al.: Understanding tradeoffs between food and predation risks in a specialist mammalian herbivore. In: Wildlife Biology. 2016, Vol. 22, p. 167–174. relative Futteraufnahme Futteroption 1: mit Cineol, mit Versteck Futteroption 2: ohne Cineol, ohne Versteck Individuen Zwergkaninchen 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Abb.21: Versuchsergebnisse. Die unterschiedlichen Individuen nutzten die angebotenen Futtermöglichkeiten sehr unterschiedlich. Variabilität, Verwandtschaft, Geschichte und Evolution Die Situation zwischen Nahrungspflanzen und Zwergkaninchen entstand im Laufe der Evolution als Folge einer koevolutionären Anpassung (siehe S. 116). Pflanzen, die einem starken Fraßdruck unterliegen, müssen sich schützen und haben einen Vorteil darin, „unbekömmlich“ zu schmecken. So führte die Evolution an diesem Standort zur Zunahme der Cineol-Konzentration bei den Nahrungspflanzen. 1 E Beispiele von evolutionären Trade-offs treten auch beim Menschen auf. In einer Studie wurde gezeigt, dass bei Kindern in Bolivien ein Trade-off auftritt. Finde den Abstract der Studie im Internet, und erläutere den Trade-off, den die Forscherinnen und Forscher hier dokumentiert haben: McDade, T. W.; Reyes-García, V.; Tanner, S.; et al.: Maintenance versus growth: investigating the costs of immune activation among children in lowland Bolivia. In: American Journal of Physical Anthropology. 2008, Vol. 136; I. 4, p. 478–484. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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