113 Die Entstehung der Artenvielfalt Neue Arten können sich auch im Gebiet der Elternart bilden Können auch innerhalb einer Population in demselben Gebiet, das heißt ohne geografische Trennung, getrennte Arten entstehen? Diesen Prozess bezeichnet man als sympatrische Artbildung (kS. 112, Abb. 5). Lange haben Evolutionsbiologinnen und -biologen das für unwahrscheinlich gehalten, aber mittlerweile gilt es als geklärt, dass disruptive Selektion (siehe S. 77) tatsächlich zur Artbildung ohne geographische Trennung führen kann. Ein Beispiel dafür sind die Galapagosfinken (kAbb. 7). Alle Arten stammen von wenigen Individuen einer Singvogelart ab, die vor ca. 2,3 Mio. Jahren vom südamerikanischen Festland aus die Galapagos-Inseln kolonisierten. Zu dieser Zeit gab es auf den fast unbesiedelten Inseln keine samenfressenden Vögel. Durch die fehlende Konkurrenz hat auf den leeren Inseln eine adaptive Radiation1 eingesetzt: Es entstanden sehr vielfältige Kopf- und Schnabelformen. Durch bevorzugte Verpaarungen innerhalb des gleichen Typus haben sich bis heute 13 Arten herausgebildet, die heute nebeneinander existieren. Sympatrische Artbildung stellt also eine Kombination aus disruptiver Selektion und sexueller Selektion dar: Hierbei finden bestimmte Weibchen eine neue Variante von Männchen mit einem bestimmten Sexualsignal attraktiver, während andere Weibchen Männchen mit einem anderem Sexualsignal bevorzugen. Die Nachkommen beider Gruppen erben die jeweilige Vorliebe und das dazu passende Sexualsignal. Bei der Partnerwahl bevorzugt jede Gruppe weiterhin ihresgleichen. Sympatrische und allopatrische Artbildung sind zwei gut erforschte Wege, wie neue Arten entstehen können. Oft sind sie schwer zu trennen. Im Beispiel der Finken war vermutlich zuerst eine Anpassung an verschiedene Nahrungsformen entstanden, erst dann trennten sich die Finken allmählich auch räumlich auf. Ein solcher Artbildungsprozess, bei dem ein Genfluss zwischen den Teilpopulationen besteht und sich erst allmählich eine geographische Trennung ergibt, nennt man parapatrische Artbildung (kS. 112, Abb. 5). 1 adaptive Radiation: adaptare (lat.) = anpassen, radiatus (lat.) = ausstrahlend; Prozess der Veränderung und Auffächerung einer ursprünglichen Art in eine Vielzahl neuer Formen Spalten sich Arten innerhalb eines Lebensraums auf, spricht man von sympatrischer Artbildung Anteil in der Population Schnabelhöhe (mm) 40 20 0 40 20 0 40 20 0 8 10121416182022 Klein-Grundfink Mittel-Grundfink Groß-Grundfink Inseln: Pinta und Marchena Daphne Los Hermanos GalapagosInseln Südamerika Koexistenz führt zu Spezialisierungen in der Schnabelhöhe. Mit ihren kräftigen Schnäbeln können die Knospenfresser Blüten und Knospen abreißen und fressen. Die Schnäbel der Samenfresser sind an das Fressen unterschiedlich großer und harter Samen angepasst. Kaktus- und Opuntien- Grundfink können Kaktusfrüchte öffnen. Waldsänger-Darwinfink Laubsänger-Darwinfink Kokosinsel-Darwinfink Dickschnabel-Darwinfink Spitzschnabel-Grundfink Kaktus-Grundfink Groß-Grundfink Opuntien-Grundfink Mittel-Grundfink Vampir-Grundfink Papageischnabel-Darwinfink Zwerg-Darwinfink Kleinschnabel-Darwinfink Specht-Darwinfink Mangroven-Darwinfink Klein-Grundfink Die unterschiedlichen Schnäbel der Insektenfresser ermöglichen je nach Form die Insektensuche in Ritzen, unter Rinden, auf Blättern oder das Fressen von Larven. gemeinsamer Vorfahre vom südamerikanischen Festland Abb.7: Sympatrische Artbildung: Aus einer eingewanderten Stammart vom Festland sind 16 Arten entstanden, die sich auf verschiedene Futterquellen spezialisiert haben. Der Kokosinsel-Darwinfink ist als Art ein Generalist, bei dem sich einzelne Vögel innerhalb der Gesamtpopulation auf bestimmte Nahrungsquellen spezialisiert haben. Je nach Systematik werden teilweise auch 18 Arten unterschieden: Dabei werden der Spitzschnabel-Grundfink und der Opuntien-Grundfink jeweils in zwei weitere Arten unterteilt.) Variabilität, Verwandtschaft, Geschichte und Evolution Durch den Mechanismus der sympatrischen Artbildung können sich relativ rasch zwei Teilpopulationen herausbilden. Hybridisierungen finden zwar statt, die daraus entstehenden männlichen Zwischenformen werden aber von keinem der beiden Weibchentypen bevorzugt. Man schätzt, dass durch sympatrische Artbildung aus einer Vorläuferart bereits in 100 000 bis 200 000 Jahren neue Arten entstehen können. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy MTA2NTcyMQ==