Aufgaben 105 Evolution des Menschen Blick in die Forschung Die mysteriösen Denisova-Menschen Eine neue Menschenart Russische Forscherinnen und Forscher entdeckten 2008 in einer Höhle in Sibirien, der Denisova-Höhle (kAbb. 17), einen menschlich aussehenden Fingerknochen (kAbb. 18). Erst eine aufwändige aDNA-Analyse1, die von einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Deutschland unter der Leitung von Svante Pääbo2 durchgeführt wurde, gab Aufschluss über die Identität dieser Menschen: Der gefundene Knochen stammte von einer weiblichen Jugendlichen (genannt „X woman“), die dort vor 40 000 Jahren lebte. Sie war jedoch weder ein moderner Mensch noch ein Neandertaler, sondern gehörte zu einer bis dahin unbekannten, ausgestorbenen Menschenart! Diese Menschen bekamen den Namen Denisova-Menschen. Wir wissen, dass sie bereits vor mehr als 100 000 Jahren um die Denisova-Höhle lebten. Die Denisova-Menschen gehören, wie wir, zur Gattung Homo, sind also mit uns Menschen verwandt. Insgesamt hat man von diesen Menschen erst einen Fingerknochen, einzelne Zähne und einen Zehenknochen gefunden. Kleine Überreste von nur vier Personen sind also alles, was wir von dieser Menschenart kennen! Über ihren Körperbau wissen wir daher sehr wenig. Möglicherweise waren sie robuster gebaut als wir, ähnlich dem Neandertaler. Es ist selten, dass sich DNA Zehntausende Jahre lang erhält. Bei den meisten Fossilien, die so alt oder älter sind, kann kaum mehr intakte DNA sichergestellt werden. Um so beeindruckender ist es, dass bei den Denisova-Menschen aus einem Fingerknochen genetisches Material gewonnen werden konnte. In diesem Fall war das kühle Klima in der Höhle sehr günstig für die Erhaltung. Stell dir vor – mit Hilfe eines einzelnen, kleinen Fingerknochen wurde eine neue Menschenart entdeckt und es konnte die genetische Ähnlichkeit dieser Menschen mit uns errechnet werden (siehe S. 82)! Die aDNA-Analysen1 wiesen darauf hin, dass die Neandertaler mit den Denisova-Menschen eng verwandt waren. Für die Abstammung des modernen Menschen bedeutet dies, dass es mehrere Menschenarten gleichzeitig auf der Erde gab. Dass der moderne Mensch mit den Denisova-Menschen gemeinsame Nachkommen zeugte, weiß man, da sich 3–5 % der Gene der Denisova-Menschen, die man aus dem Fingerknochen kennt, beim modernen Menschen, und zwar bei Aborigines3 und Melanesiern4 wiederfinden. 1 aDNA: aDNA bedeutet „ancient DNA“ oder „alte DNA“; DNA, die aus alten Überresten von DNA stammt; Sie ist von viel geringerer Qualität als moderne DNA, da sich DNA im Laufe der Zeit zersetzt. Es bedarf spezieller Techniken und Labors, um aDNA zu analysieren. Ein Problem besteht in der leichten Kontamination: Menschliche DNA ist tatsächlich überall, jeder Fingerabdruck hinterlässt DNA! Solche aDNA-Proben müssen daher unter extrem sterilen Bedingungen extrahiert und untersucht werden. 2 Svante Pääbo: schwedischer Mediziner und Biologe, geb. 1955, Nobelpreis für Medizin oder Physiologie 2022 3 Aborigines: indigene Völker („Ureinwohner“) Australiens 4 Melanesier: Zu den Melanesiern rechnet man die indigenen Einwohner einiger Inseln im Südpazifik, nämlich von Neuguinea (Papua Neuguinea und das indonesische Westneuguinea), Fiji, Neukaledonien, den Salomonen und Vanuatu. Abb.17: Denisova-Höhle. Die Höhle liegt in den sibirischen Bergen, in der Nähe der Grenze zu China und der Mongolei. Hier wurde 2008 das menschliche Fossil „X woman“ gefunden. Abb.18: Fingerknochen eines Denisova-Menschen. Dieses menschliche Fossil hat den Namen „Denisova 3“ bekommen. Die Forscherinnen und Forscher nennen das Fossil auch „X woman“. 1 W Das mitochondriale Genom der X woman wurde 2010 veröffentlicht: Krause, J.; Fu, Q.; Good, J. M.; et al.: The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia. In: Nature. 2010, Vol. 468, p. 1053–1060. Lies den Abstract der Studie und erläutere die Rückschlüsse der Forscherinnen und Forscher über die Migration der Vorfahren der Denisova-Menschen. 2 S In der Wissenschaft wird diskutiert, ob die Denisova- Menschen eine eigene Menschenart darstellen oder eine Unterart des modernen Menschen. Lies nach, was man unter einer Unterart versteht. Analysiere, was für bzw. wider diese beiden Einordnungen spricht. Literatur: Reich, D.; Green, R., E.; Kircher, M.; et al.: Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia. In: Nature. 2010, Vol. 468, p. 1053–1060. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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