Aufgaben 104 Methoden in der Praxis Die molekulare Uhr Zur Datierung und zur Stammbaumanalyse wird mitochondriale DNA benutzt Stammbäume, die auf Fossilfunden basieren, stimmen zwar meist grob, bleiben aber oft unvollständig, da häufig Übergangsformen fehlen. Man kennt mittlerweile zwar einige sehr alte Fossilien, die vermutlich von Vorfahren des modernen Menschen stammen (Orrorin tugenensis, 6 Mio. Jahre alt und Sahelanthropus tchadensis, 7 Mio. Jahre alt; siehe S. 95). Der letzte gemeinsame Vorfahre von Schimpanse und modernem Mensch ist jedoch zB nicht bekannt. Zur Rekonstruktion von Abstammungsverhältnissen bedient man sich daher einer Methode, die auf dem Vergleich von DNA-Sequenzen von heute lebenden Nachfahren basiert. Damit lassen sich die wahrscheinlichsten Stammbäume erstellen. So kann man rückberechnen, wie lange zB die Aufzweigung der beiden Linien, die zum modernen Menschen und zum Schimpansen führen, her ist. Man verwendet dazu häufig die mitochondriale DNA. Nicht nur die Zellkerne, sondern auch die Mitochondrien enthalten DNA (mtDNA1). Die mitochondrialen Gene werden über die mütterliche Linie weitergegeben. Unterschiede in diesen Genen beruhen daher nur auf Mutationen, nicht auf Rekombination, wie bei der DNA im Zellkern. Kennt man die Mutationsrate und geht man davon aus, dass sie konstant ist, kann man so rückschließen, wann die Ausgangssequenz eines solchen mitochondrialen DNA-Abschnittes existiert hat. Es ist so, als ob eine „molekulare Uhr“ die Unterschiede in der DNA, die sich durch Mutationen ansammeln, quasi „mitstoppt“. Auf die Mutationsrate lässt sich rückschließen, indem man Sequenzunterschiede der DNA für Organismen ermittelt, deren gemeinsame Vorfahren mit einer anderen Methode datiert wurden, zB über Fossilfunde, deren Alter man kennt. Mit Hilfe dieser Methode wurde zB berechnet, dass sich die DNA aller Mitochondrien, die in der heutigen menschlichen Population vorkommen, auf die DNA einer Frau zurückführen lassen, die vor etwa 200 000–300 000 Jahren gelebt hat: der „mitochondrialen Eva“. Evolutionär betrachtet ist die gemeinsame Abstammung aller heute lebenden Menschen also nur einen Augenblick her – 200 000–300 000 Jahre sind in der Evolution verhältnismäßig kurz. Für den letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen gibt es sehr unterschiedliche Berechnungen, die von 4 bis 13 Mio. Jahren reichen. Grund dafür ist die komplexe Abstammung, siehe Aufgabe 1. Statt der Unterschiede in der mitochondrialen DNA können auch Unterschiede in der Struktur von anderen Biomolekülen, die sich mit der Zeit durch Mutationen anhäufen, zur Ermittlung der Mutationsrate und zur Eichung der molekularen Uhr verwendet werden. Diese Methode wurde erstmals an Unterschieden in den Hämoglobin-Molekülen unterschiedlicher Abstammungslinien getestet. 1 mtDNA: Die mitochondriale DNA (mtDNA) enthält 37 für den Stoffwechsel relevante Gene. Alle Mitochondrien der Zygote, aus der ein Embryo wächst, stammen aus der mütterlichen Eizelle, daher stammt auch die gesamte mtDNA von der Mutter, nicht so wie die DNA im Zellkern, die zu gleichen Teilen von Mutter und Vater stammt. heutige Population des Menschen Frauen in der Population vor ca. 200 000 Jahren ausgestorbene Linien Abb.16: „Mitochondriale Eva“. Die heute vorhandenen Varianten der mitochondrialen DNA lassen sich auf eine „mitochondriale Eva“ zurückführen, die vor rund 200 000 Jahren gelebt hat. Alle anderen mitochondrialen Linien sind ausgestorben. 1 W Bei Menschen und Schimpansen scheint die Abstammungsgeschichte komplizierter zu sein als ursprünglich angenommen. Nach der Abspaltung kam es über eine Periode von mehreren Millionen Jahren hinweg vermutlich zur Hybridisierung zwischen den Linien. Die Ergebnisse dieser Analyse wurden 2006 publiziert: Patterson, N.; Richter, D. J.; Gnerre, S.; et al.: Genetic evidence for complex speciation of humans and chimpanzees. In: Nature. 2006, Vol. 441, p. 1103–1108. Lies den Abstract der Studie, und fasse zusammen, wie die Forscher zu diesem Ergebnis kommen. 2 E Um die molekulare Uhr zu „eichen“ und eine Mutationsrate zu berechnen, existieren weitere Methoden. Bei einer davon werden die Unterschiede in der mitochondrialen DNA zwischen Eltern, Kindern und Enkeln verglichen. Leite ab, wie daraus die Anzahl von Mutationen pro Generation und die Mutationsrate bestimmt werden können. 3 S Der molekularen Uhr liegt die Annahme der Konstanz der Mutationsrate zugrunde. Diese Annahme schränkt die Genauigkeit der Schätzungen stark ein. Begründe dieses Faktum. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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