Methoden in der Praxis Aufgaben 88 Myoelektrische Prothesen Vom Holzbein zu bewegbaren Prothesen In am Puls 6 wurde dir die Funktion von Nervenzellen vorgestellt und beispielhaft erwähnt, dass es Schnittstellen zwischen Nervensystem und Elektronik gibt (zB Cochlea-Implantate, also Hörprothesen). Wie sieht es mit anderen Prothesen1 aus? Dass amputierte Gliedmaßen durch Prothesen ersetzt werden können, wussten bereits Menschen der Antike (die älteste nachgewiesene Prothese wurde an einer ägyptischen Mumie gefunden, die ca. 600 v. Chr. bestattet wurde). Doch die Prothesen der früheren Menschheit waren starre Gebilde, die zwar einen Körperteil ersetzten, aber keine Bewegung ermöglichten. Mit der modernen Medizin wurden auch Prothesen entwickelt, welche die Bewegungen der verlorenen Extremität möglichst gut ausführen können. Die Ansteuerung erfolgt über die Muskeln des verbliebenen Extremitätenstumpfes, daher nennt man diesen Prothesentyp myoelektrischen Prothesen. Dies soll hier am Beispiel einer myoelektrischen Armprothese erklärt werden, die einen abgetrennten Unterarm ersetzt. Die Steuerung erfolgt über Muskelkontraktionen im Oberarmstumpf. Elektroden, die der Haut aufliegen, registrieren die elektrischen Signale, die hierbei im Muskel entstehen (ähnlich wie bei neuralen Signalen entstehen bei Muskeln durch Freisetzung von Ionen messbare Potenziale). Diese Signale werden elektronisch in Steuerimpulse für die batteriebetriebenen Motoren in der Prothese umgewandelt. Damit die Betroffenen den Arm nicht nur ruckhaft heben und senken können, sondern um ihnen eine möglichst fein abgestimmte Bewegung zu ermöglichen, muss die Signalstärke entsprechend reguliert werden. Spannt man einen Muskel kräftig an, werden mehr Muskelfasern aktiviert. Entsprechend stark sind die messbaren Impulse. Ein schwaches Signal wird folglich in eine langsame Bewegung umgesetzt, ein starkes in eine schnelle. 1 Prothese: pro (griech.) = vor, anstatt, thesis (griech.) = Setzen, Stellen Künstliche Beine, Arme, Hände? Nicht alle Körperteile sind gleich leicht zu ersetzen. Fuß- und Beinprothesen sind in Vergleich zu Arm- und Handprothesen deutlich einfacher, da für normale Beinbewegungen (Gehen, Laufen) ein einfaches Abwinkeln des Knie- und Sprunggelenks erfolgen muss. Heute sind sogar einfache Prothesen (also solche ohne myoelektrische Steuerung) in der Lage, Fuß und Unterschenkel so gut zu ersetzen, dass Sportlerinnen und Sportler mit Prothesen vergleichbare Leistungen erzielen wie solche ohne Prothesen. Bekannt wurde diese Tatsache durch den südafrikanischen Sprinter Oscar Pistorius2. Arm- und Handprothesen (kAbb. 15) können ihre Funktion dagegen nur als myoelektrische Prothesen erfüllen. Entsprechende Prothesen kosten mehrere 10 000 Euro, ermöglichen den Betroffenen aber oft ein nahezu normales Leben. Die „Bedienung“ der Prothesen über Muskelspannung muss erlernt werden, ist aber nach einer Rehabilitation in der Regel problemlos möglich. 2 Oscar Pistorius: südafrikanischer Sprinter (geb. 1986), dem aufgrund einer angeborenen Fehlbildung beide Unterschenkel im 1. Lebensjahr amputiert wurden; Pistorius war bei Sprintmeisterschaften (auch unter Läufern ohne Prothesen) im Profisport sehr erfolgreich. Traurige Berühmtheit erlangte er durch den Mordfall an seiner Partnerin, für den er 2016 verurteilt wurde. Abb.15: Myoelektrische Handprothese. Die Hand alleine wiegt etwa 500 g, enthält fünf Elektromotoren und wird über Signale des Arms, die von zwei Elektroden registriert werden, gesteuert. Andere Handmodelle können dadurch gesteuert werden, dass die zur Hand führenden Nerven in gewisse Segmente der Brustmuskulatur umgeleitet werden. Dort setzen die Elektroden an. Wenn der Patient oder die Patientin die Hand bewegen will, kontrahiert der entsprechende Muskel in der Brustmuskulatur, was über die Elektroden erfasst wird – worauf sich die Hand bewegt. 1 W Recherchiere die historische Entwicklung der Prothesen und den gegenwärtigen Stand der Forschung. Stelle deine Ergebnisse in einer Zeitleiste unter der Verwendung von Bildern und unter Angabe von Quellen dar. 2 W/E Hast du Bekannte oder Verwandte mit Prothesen? Erkundige dich nach ihrem Einverständnis, ob du mit ihnen über die Prothese sprechen darfst. Bei Zustimmung führe mit ihnen ein Interview, in dem du die Betroffenen über das Leben mit einer Prothese befragst. Versuche herauszufinden, wie die Bewegungen erlernt wurden und welche Bewegungen im Alltag gut bzw. weniger gut durchgeführt werden können. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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