Blick in die Forschung Aufgaben 67 Gesundheitsförderung und Krankheiten Epilepsie – Therapie durch Hirnstromkontrolle? Für Epilepsie gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten Wer an Epilepsie leidet, kann sich medikamentös oder, wenn die Anfälle von einem sehr begrenzten Areal im Gehirn ausgehen (fokaler Anfall, siehe S. 63), chirurgisch behandeln lassen. Beides kann allerdings schwere Nebenwirkungen nach sich ziehen. Zudem sind Antiepileptika bei 30 % der Patientinnen und Patienten wirkungslos. Reduzierung der Anfallshäufigkeit durch mentales Training Einen ganz anderen Ansatz schlug bereits vor vielen Jahren der gebürtige Wiener Niels Birbaumer vor, der als Professor an der Universität Tübingen an Nervenkrankheiten geforscht hat. Da epileptische Anfälle auf vorübergehend aussetzender Regulation von Erregung im Großhirn beruhen, möchte Birbaumer Menschen mit Epilepsie helfen, die Kontrolle über diese Regulation wiederzuerlangen. Das geschieht mittels „Gehirnstromtraining“. Dabei wird anhand von Elektroenzephalografie für die zu behandelnde Person sichtbar gemacht, ob die Gehirnerregung zu stark oder ausgeglichen ist: Auf einem Monitor bewegt sich eine Rakete nur dann vorwärts, wenn die Erregung durch Konzentration erfolgreich beeinflusst wird. Die Buchstaben „A“ oder „B“ signalisieren, ob die Intensität der Gehirnerregung gesteigert oder verringert werden muss (kAbb. 12). Das Training dauert mehrere Wochen. Offenbar erfolgreich, aber kaum eingesetzt Diese Methode scheint Menschen mit bislang nicht behandelbaren Formen von schwerer Epilepsie helfen zu können, die Anfallshäufigkeit deutlich zu verringern (Birbaumer ua., 1994). Erstaunlicherweise kommt diese Methode bisher kaum zum Einsatz. Dabei ist sie völlig frei von Nebenwirkungen. Übrigens konnten Birbaumer und sein Team mit ähnlichen Mitteln Menschen mit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) helfen, über einen Computer wieder mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Bei ALS erschlaffen sämtliche Muskeln im Körper. Erkrankte sind praktisch eingeschlossen in ihrem Körper, der bewegungsunfähig ist, während ihr Gehirn normal funktioniert. Mit Hilfe von computergestütztem Gehirntraining sind diese Menschen erstmals wieder in der Lage, sich anderen gegenüber zu artikulieren (Birbaumer, 2006). Ein prominenter Mann mit ALS war der 2018 verstorbene und überaus berühmte Physiker Stephen Hawking, der mehr als 40 Jahre länger lebte als es ihm seine Ärzte prognostiziert hatten. Abb.12: Feedback über einen Monitor zeigt den Testpersonen an, ob sie ihre Erregung ausreichend regulieren können. Das Bild einer Rakete wird acht Sekunden lang gezeigt („S“ = Stimulusbeginn). Während dieser Zeit kann die Testperson versuchen, ihre Gehirnerregung zu regulieren. GRÜN zeigt eine geringe, ROT eine (zu) hohe Gehirnerregung an. Die 20-Mikrovoltlinie kennzeichnet das Maximum, was beim Training normalerweise erreicht wird. A 20 µ V 1 W Lies in am Puls 6 nach, wie Aktionspotenziale entstehen und weitergeleitet werden. Lege in einem kurzen Text dar, was sich bei epileptischen Anfällen ändert (siehe S. 63). 2 W Recherchiere Beispiele für Gehirn-ComputerVerbindungen (Brain-Computer-Interfaces), die in der Medizin eingesetzt werden. Als Ausgangspunkt könntest du die Internetseiten des Instituts für Automatisierungstechnik der Universität Bremen, des Projekts „Berlin Brain-Computer Interface“, des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen oder der steirisch-oberösterreichischen Firma g.tec, die aus einem Projekt der Technischen Universität Graz hervorgegangen ist, benutzen. Literatur: Birbaumer, N.; ua.: Biofeedback of slow cortical potentials in epilepsy. In: J. G. Carlson (Hrsg.), Clinical Applied Psychophysiology – Collection of paper and key note addresses at the 2nd International Conference on Biobehavioural Self-Regulation and Health in Munich 1991; Plenum Press, New York. 1994, S. 29–42. Birbaumer, N.; ua.: Breaking the silence: Brain–computer interfaces (BCI) for communication and motor control. In: Psychophysiology. 2006, Jg. 43, S. 517–532. S Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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