86 Fallbeispiel Eine Stadt – viele Identitäten: von In-Vierteln & Angsträumen Eine Stadt – viele Identitäten In den meisten Städten gibt es Viertel oder Gebiete, die in der Wahrnehmung der Bevölkerung als wertvoller eingeschätzt werden. Die Beliebtheit der Wohnbezirke hängt von verschiedenen Faktoren ab, die diesen ein bestimmtes Image verleihen, die wiederum Ergebnisse sozialer Konstrukte sind. Daraus resultieren zum Beispiel höhere Wohnungs- und Grundstückspreise, die dazu führen, dass sich nur Menschen mit einem hohen Einkommen dort ansiedeln können. Die Stadt Graz etwa hat 17 Bezirke. Besonders beliebt sind die zentralen Bezirke Innere Stadt mit dem Schlossberg, dem Hauptplatz (M1) und der angrenzenden Einkaufsstraße Herrengasse, und St. Leonhard, in dem sich die Technische Universität sowie die Kunstuniversität befinden. Auf Grund der zentralen Lage, der stark begrenzten Möglichkeiten weiterer Bebauung und der schönen Altstadt sind die Immobilienpreise in diesen Vierteln sehr hoch. Dass zentrale Lage nicht unbedingt gutes Image bedeutet, zeigt der innenstadtnahe Bezirk Gries. Der Anteil von Migrantinnen und Migranten ist in diesem Stadtteil besonders hoch. Außerdem ist das Rotlichtmilieu in Gries angesiedelt. Dementsprechend niedrig sind die Mietpreise im Vergleich zu anderen Vierteln. Die Randbezirke Mariatrost und Ries hingegen zeichnen sich durch überdurchschnittlich hohe Immobilienpreise aus und werden fast ausschließlich von besserverdienenden beziehungsweise wohlhabenden Menschen bewohnt. Sie gelten als sehr lebenswert und haben das Image einer noblen Wohngegend. Bewohnerinnen und Bewohnern der verschiedenen Stadtbezirke wird im öffentlichen Bewusstsein ein bestimmtes Image zugeordnet. Menschen, die in den „guten Vierteln“ leben, gelten als reicher, während den Menschen aus den „schlechten“ Stadtteilen ein negativer Stempel aufgedrückt wird. Das Beispiel Graz lässt sich auf viele Städte übertragen und zeigt, dass Räume Menschen in ihrer eigenen Identität prägen und beeinflussen. Angsträume Einen besonderen Fall von sozial konstruierten Räumen stellen Angsträume dar. Das sind öffentliche Räume, die bei vielen Menschen ein Gefühl der Unsicherheit und des Unbehagens hervorrufen und nach Möglichkeit gemieden werden. Schlechte Einsehbarkeit oder mangelhafte Beleuchtung können gewissen Räumen dieses Image verleihen. Typische Beispiele sind Gebiete um Bahnhöfe (M2), Straßenunterführungen, Parks bei Nacht (M3) oder auch Tiefgaragen. Viele Menschen verknüpfen mit diesen Orten unbewusst Kriminalität, Drogenhandel oder Gewalt, wobei ihre subjektive Wahrnehmung auch stark von der medialen Berichterstattung über Gewaltverbrechen beeinflusst wird. Angsträume können aber auch Gebiete in einer Stadt sein, die gewisse soziale Schichten bewohnen und von anderen deshalb gemieden werden. Slums in Entwicklungsländern können etwa für Touristinnen und Touristen solche Angsträume sein, weil sie wohlhabender als die dort ansässige Bevölkerung sind und Angst vor Raub und Gewalt haben. Umgekehrt meiden die Bewohnerinnen und Bewohner von Slums Stadtgebiete, die von reicheren Menschen frequentiert werden, wie etwa Einkaufszentren. So entstehen unsichtbare soziale Grenzen. Räume sind Registrierplatten und dienen somit als Grundlage für die Abbildung sozialer und wirtschaftlicher Ereignisse. M1 Graz Hauptplatz (Foto 22. 2. 2018) M2 Angstraum Praterstern, Wien (Foto 8. 11. 2017) M3 Park bei Nacht (Foto 2017) Kompetenzorientierte Lernziele Konstruktionen von Räumen und raumbezogenen Identitäten untersuchen persönliche soziale Raumkonstruktionen analysieren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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