global 8. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch

61 Politische und ökonomische Systeme vergleichen Moskauer Metamorphosen 18 Jahre an der Macht: Als nahezu Unbekannter trat Putin die Amtsfolge von Boris Jelzin an – und schuf in zwei Dekaden sein neues Russland mit Machtkonzentration, informellen Einflusskreisen und einer gelenkten Demokratie, die immer auch mehr jenseits der Landesgrenzen wirken will. In einer Abschiedsrede vom 31. 12. 1999 schlägt Boris Jelzin den bisherigen Ministerpräsidenten Wladimir Putin vor, der die Wahlen im März 2000 mit knapp 53% gewann. Von 2000–2004 ging Putin als starker Präsident daran, die Macht im Staat zu konsolidieren, das Ziel war die „gelenkte Demokratie“; einer der ersten Schritte war die Kontrolle der freien Medien, denen der Kreml die kritische Stimme entzog; regionale Gouverneure wurden nicht mehr gewählt, sondern ernannt; mit der Kreml-Partei „Einiges Russland“ gab es ein politisches Instrument, um die Macht durchzusetzen. Aus der Sicht des Kreml „unkooperative Oligarchen“ wie Michail Chodorkowski wurden entmachtet, und die Öl- und Gasbranche kam zurück zum Staat. Von 2004–2008 konnte das Staatsbudget konsolidiert werden, allerdings erschütterten Terroranschläge Russland, und in der Ukraine kam es zur Orangen Revolution; beim Präsidenten verstärkte sich die Ansicht, der Westen wolle sein Land destabilisieren. Ökonomisch gesehen waren dies gute Jahre – durch steigende Rohstoffpreise kam Geld in die Staatskasse, und der private Konsum zog an in diesen Boomjahren des neuen Russland. Die Diversifizierung der Wirtschaft und weitere Reformen wurden nicht forciert. 2008 tauscht Putin Platz mit Dmitrij Medwedew, einem Systemliberalen und stellvertretendem Ministerpräsidenten. 2008–2012 lenkte Putin als einflussreicherer Teil des Tandems die Geschicke Russlands, auch seine Verbindungen zu den Sicherheitsleuten sicherten ihm informelle Durchgriffsrechte. 2011 erfolgte der „zweite Ämtertausch“. 2012–2018 erscheinen ein wenig als die Jahre als Gegner des Westens: Im März 2012 leitete der Kreml eine konservative Wende ein – Orthodoxie, Nationalismus und neoimperiale Sichtweisen wurden stärker; im Inneren wurden Oppositionsaktivisten verfolgt, ausländische NGOs häufig in ihrer Arbeit eingeschränkt. Mit der Annexion der Krim und der Militärintervention im Donbass und in Syrien war Russland zurück als Weltmacht, ebenso mit der Präsentation neuer Atomwaffen. (https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/ 5390150/Putins-Metamorphosen_Die-vier-Phasen-desKremlherrschers, Jutta Sommerbauer, 17. 3. 2018, abgerufen am 11. 4. 2018) M2 Die vier Phasen des Kremlherrschers Begegnungen in einem widersprüchlichen Land Ludmilla Alexejewa, Menschenrechtsaktivistin: „In Russland existiert die Nostalgie der imperialen Nation noch in den Köpfen. (…) Lieber vor lauter Armut nackt, aber im Gegenzug in einem Land leben, das alle in der Welt wieder fürchten. Die Ukraine hat den Maidan, wir in Russland nicht. (…) Eines Tages wird Russland ein demokratischer Rechtsstaat und zur europäischen Völkerfamilie gehören.“ Wassilij Slonow, Künstler, Sibirien: „Wir sitzen alle auf einem Pulverfass, man weiß nie, was am nächsten Tag passiert. Russlands typischstes Charaktermerkmal ist seine Unvorhersehbarkeit. (…) Die Axt ist ein Symbol der Macht, die etwas schafft und bestraft. (…) Eine solche Konzentration an Ungerechtigkeit, Unglück und Lüge, wie es sie in Russland gibt, ist ohne Ironie und Selbstironie nicht zu ertragen.“ Margarita Siangirowa, Journalistin, Omsk: „Was bedeutet es, wenn wegen Kirchenkritik und verängstigter Beamter die Aufführung von Theaterstücken wie ,Der Reigen‘ fast oder ganz abgesagt werden? (…) Russland ist anders. Hier hat es immer die Peitsche gegeben, und das wird weiterhin so sein.“ Alla und Alexander Rojenko, Bauern, Sibirien: „Es ist schon gut so, wie es ist: In den Dörfern arbeiten die Menschen hart, schaffen Jobs und ernähren das Land; die politische Opposition hat noch nichts zusammengebracht, wir stimmen für Putin. Wir leben besser als früher.“ Julia und Iwan Marjucha, Unternehmerpaar, Moskau: „Das ist vielleicht typisch russisch, dass es zwei parallele Wirklichkeiten gibt, einerseits das Gesetz und die offiziellen Bestimmungen, andrerseits die Wirklichkeit, in der alles anders funktioniert. Man weiß bald, welche Bestimmungen wirklich wichtig sind und welche man links liegen lassen kann. (…) In unserer Gesellschaft wird schon Kindern abgewöhnt, eine eigene Meinung zu haben.“ Makar Wichljanzew, Pro-Putin-Propagandabewegung, Moskau: „Alle haben auf Russland herabgesehen. Dann ist Putin gekommen und hat gesagt: Hier sind wir. Mit uns muss man wieder rechnen.“ Jewgenij Repenkow, prorussischer Fußballmanager, Krim: „Die Welt muss den Willen der Krim-Bevölkerung anerkennen. Punkt!“ Sarina Ametowa, Krimtatarin, Menschenrechtlerin, Krim: „Man darf nicht einfach etwas wegnehmen, das einem nicht gehört. Die Krim gehört weder Russland noch der Ukraine, sondern uns, den Krimtataren.“ (Carola Schneider, Mein Russland. Kremayr & Scheriau, 2017) M3 Innenansichten eines widersprüchlichen Landes 1 Analysieren Sie die Machtverhältnisse im politischen und ökonomischen System Russlands. 2 Erläutern Sie die Textausschnitte und setzen Sie sie in Bezug zum politischen System. 3 Recherchieren Sie im Internet die Gründe und Ursachen der Entwicklung. Diskutieren Sie mögliche zukünftige Entwicklungen. { { } Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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