52 Von der freien Marktwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft Wie, wann und warum kam es zur Entstehung der sozialen Marktwirtschaft? Das Modell der sozialen Marktwirtschaft wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich entwickelt. Heute findet man es in vielen europäischen Industriestaaten verwirklicht. Entstehung der sozialen Marktwirtschaft Die Situation großer Teile der Bevölkerung in Deutschland und Österreich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war bedrückend. Es fehlte den Menschen an fast allem. Nahrung, Kleidung, Wohnung und viele andere Güter waren streng rationiert, der Schwarzmarkt und der Tauschhandel blühten. In dieser Situation kam der Frage nach der zukünftigen Wirtschaftsordnung eine besondere Bedeutung zu. Die freie Marktwirtschaft, an die sich die Menschen erinnerten, war die Marktwirtschaft der Weltwirtschaftskrise der 1920-er und 1930-er Jahre mit Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und gewaltigen Einkommensunterschieden zwischen Reich und Arm. Namhafte Wissenschaftler (zB Walter Euken) und Politiker (zB Ludwig Erhard, Alfred Müller-Armack) versuchten, in Deutschland eine freiheitliche, aber soziale Wirtschaftsordnung zu verwirklichen. Zentrale Zielvorstellung war, die Dynamik des Marktes zur Schaffung von Wohlstand umfassend zu nutzen. Dabei wird jedoch bei der Verteilung des Wohlstandes sowie bei der Abdeckung der zentralen Lebensrisiken dem Staat eine Verantwortung übertragen. Ludwig Erhard, langjähriger Wirtschaftsminister und späterer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, hat das Funktionieren der Marktwirtschaft mit einem Fußballspiel verglichen: Die Funktion des Staates besteht darin, Spielregeln aufzustellen und diese durchzusetzen. Erhard hat jedoch ebenso betont, dass der Staat kein (guter) Spieler ist, also nicht selbst als Unternehmer auftreten sollte. Was sind die charakteristischen Merkmale der sozialen Marktwirtschaft? Im Gegensatz zur freien Marktwirtschaft hat der Staat in der sozialen Marktwirtschaft eine aktive Rolle als Ordnungsgeber (M1). Damit wird die freie Marktwirtschaft um folgende Aspekte erweitert: Sinn der sozialen Marktwirtschaft ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden (Alfred MüllerArmack). Die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft verbindet den freien Wettbewerb und die soziale Grundsicherung sinnvoll miteinander. Wo liegen die Grenzen der sozialen Marktwirtschaft? Das Konzept der sozialen Marktwirtschaft erwies sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in vielen europäischen Staaten als Erfolgsgeschichte, nicht zuletzt deshalb, weil das Netz der sozialen Absicherung immer enger geknüpft wurde. Angesichts weltweiter ökonomischer Umwälzungen (zB verstärkte Globalisierung, Digitalisierung) und wachsender Haushaltsdefizite zeigt sich aber zunehmend, dass viele Sozialleistungen immer schwerer finanzierbar sind (zB die stark steigenden Pensionszuschüsse der Staaten auf Grund der demografischen Entwicklung). Österreich liegt, wie die Grafik M2 zeigt, bei den Sozialausgaben im internationalen Spitzenfeld. Sozialausgaben sind alle Geld- und Sachleistungen des Sozialstaates, mit denen anspruchsberechtigte Menschen gezielt in konkreten Lebenslagen (zB Krankheit, Arbeitslosigkeit, Familie, Pensionen im Alter) unterstützt werden. Häufig werden Sozialleistungen durch hohe Steuerlasten finanziert. Besonders umstritten sind die Antworten auf die Fragen, welche Auswirkungen der Sozialstaat hat und wie viel Staat die Marktwirtschaft wirklich braucht. Der Staat hat eine aktive Rolle als Ordnungshüter mit dem Ziel … Freie Marktwirtschaft Soziale Marktwirtschaft • den Wettbewerb zu sichern (zB Wettbewerbsrecht, Marken- und Patentschutz) • den sozialen Ausgleich zu garantieren (zB staatliche Zuschüsse zu Pensionen, Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und Krankheit, Umverteilung durch progressive Steuern) • das Wirtschaftsgeschehen zu gestalten (zB konjunkturpolitische Maßnahmen, Förderung von Betriebsansiedlungen) M1 Funktionen des Staates in der Marktwirtschaft Kompetenzorientierte Lernziele unterschiedliche Wirtschafts- und Regierungsmodelle vergleichen Machtverhältnisse in politischen und ökonomischen Systemen analysieren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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