global 8. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch

114 Fallbeispiel Shrinking Citys – Halle-Leipzig und Detroit Die Region Halle-Leipzig Kaum 40 km trennen die Städte Halle an der Saale und Leipzig, jene mit knapp 240 000 Einwohnerinnen und Einwohnern in Sachsen-Anhalt und die andere mit fast 600 000 Einwohnerinnen und Einwohnern in Sachsen (Stand 2017). Von 1990 bis 2012 sank die Einwohnerzahl von Halle kontinuierlich, erst seit 2014 gibt es einen leichten Anstieg. Ähnlich verhält es sich in Leipzig, wo es aber bereits 1999 durch Eingemeindungen einen Bevölkerungsanstieg gab. Halle war seit dem 19. Jahrhundert vor allem Industriestadt, Leipzig seit dem Mittelalter ein Messe- und Handelsplatz, und beide waren Teil einer Region, die fast 150 Jahre durch Braunkohlenförderung und riesige Chemiewerke geprägt war. Obwohl von der ostdeutschen Bevölkerung erwünscht, bedeutete die deutsche Wiedervereinigung für die Menschen in der DDR eine dramatische Transformation: Auf die Privatisierung der „Volkseigenen Betriebe“ folgte meist deren Schließung; es hieß, die Zukunft gehöre der Dienstleistung. Nicht bedacht wurde, dass wertschöpfende, unternehmensnahe Dienstleistungen eine industrielle Basis erfordern. Heute erreicht die ostdeutsche Industrie nicht einmal das Durchschnittswachstum in der EU. In der Region Halle-Leipzig hinterließ der Umbau der Wirtschaft eine Arbeitslosigkeit von über 20%. Von den großen Städten der DDR lag Ende der 1980-er Jahre vermutlich keine so darnieder wie Leipzig: Handelsplatz seit jeher, konzentrierte die Messestadt ihre Belebungsanstrengung stark auf die Innenstadt, sichtbar an der Gentrifikation des Hauptbahnhofs, der Kontorhäuser und der Geschäftsstraßen. Obwohl im Lauf der 1990-er Jahre drei Viertel der Altbauten saniert wurden, konnte die Abwanderung der Bevölkerung nicht aufgehalten werden. Wie in anderen Großstädten auch steht in Leipzig urbane Schrumpfung dem suburbanen Wachstum gegenüber. Allein 34 000 Doppelhäuser wurden an der Peripherie erreichtet, fast die Hälfte der hier siedelnden Betriebe hatte vorher den Sitz in der Stadt. Mit dem Flughafen, der Autobahn, dem Güterverkehrszentrum, der Neuen Messe und der neuen Autofabrik von BMW entstehen am Nordrand der Stadt erstmals Elemente einer globalen Ökonomie. Leipzig gilt heute als Gewinner der Vereinigung. Warum schrumpfen Städte? Die Industrialisierung hatte in Europa seit dem 19. Jahrhundert zu einem dauerhaften Städtewachstum geführt, eine Entwicklung, die sich im 20. Jahrhundert fortsetzte. Es entstanden in diesen neuen industriellen Ballungsräumen neue Arbeitsplätze. Diese Magnetwirkung der boomenden Industriestädte zog viele Menschen an, das internationale Wirtschaftsgefüge verändert sich aber laufend. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung kam es zur räumlichen Verschiebung der wirtschaftlichen Schwerpunkte zahlreicher Branchen. Die so genannten Entwicklungsländer entwickelten sich von reinen Rohstofflieferanten zu Standorten der Massenproduktion. Damit hat sich der Konkurrenzkampf auf den internationalen Märkten erheblich verschärft, gesehen als Prozess der Globalisierung. Besonders der wirtschaftliche Strukturwandel in den 1970-er und 1980er Jahren verursachte einen Niedergang traditioneller Industrieregionen. Symptome für die regionalen Deindustrialisierungsprozesse waren und sind hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung und leerstehende Wohn- und Gewerbeimmobilien. Dadurch wird in vielen Regionen und Städten ein sich selbst verstärkender, zyklischer Abwärtstrend in Gang gesetzt, wobei sich Ursachen und Wirkungen von Land zu Land, teilweise sogar von Region zu Region unterscheiden. Diese so genannte Implosion der Lokalökonomie, der schleichende wirtschaftliche Niedergang, die niedrige Geburtenrate mit der damit verbundenen demographischen Alterung tragen wesentlich zum Schrumpfen der Kernstädte bei. Die so genannten Speckgürtel um die Städte haben zur Verödung der Stadtkerne beigetragen, die Massenmobilisierung, vor allem durch das Auto, lange Zeit hindurch niedrige Benzinpreise und der Bau der Eigenheim-Vororte haben ebenfalls ihren Anteil daran. M1 Halle an der Saale (Foto 2014) M2 Leipzig (Foto 2018) Kompetenzorientiertes Lernziel Prozesse von Urbanität und Urbanisierung beschreiben Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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