global 6. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch

46 Fallbeispiel „Festung Europa?“ Dies ist ein häufig im Journalismus in kritischer Absicht gebräuchlicher Ausdruck, dem die Behauptung zugrunde liegt, die EU betreibe gegenüber Nicht-EU-Staaten eine Politik der Abschottung, besonders in der Asyl- und Migra­ tionspolitik. Auch in politischen Diskursen wird der Begriff immer wieder verwendet. Im Schengener Abkommen wurde vereinbart, dass es an den Grenzen zwischen den Schengen-Mitgliedstaaten kei- ne Grenzkontrollen mehr geben würde; dafür sollen die Kontrollen an den Außengrenzen verstärkt werden. Damit wurde der Personenverkehr für EU-Bürgerinnen und -Bürger vereinfacht, für einreisende Nicht-EU-Bürgerinnen und -Bürger erschwert. Zur Sicherung der Außengrenzen wurde eine eigene EU-Organisation namens FRONTEX ge- gründet. Dennoch versuchen Jahr für Jahr – insbesondere in jüngster Zeit – tausende Menschen, illegal in die EU zu gelangen. Wenn Menschen zur „Flut“ werden Sprache ist ein mächtiges Instrument. Besonders in der aktuellen, hochemotional geführten Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen werden Begriffe oft gedan- kenlos verwendet. Begriffe, die früher oft nur am rechten Rand als salonfähig betrachtet wurden, fanden mit dem Erstarken rechtspopulistischer Parteien in den vergange- nen 25 Jahren ihren Weg in breite Diskurse. „Die Flüchtlingszahlen explodieren“, „Asylgegner demonstrieren“, „Europa steht der Flüchtlingswelle hilf- los gegenüber“: Diese Schlagzeilen der vergangenen Wochen aus österreichischen Medien werfen ein Licht auf die Tonart, in der die Flüchtlingsdebatte in Öster- reich derzeit geführt wird. (…) Die Stimmen, die vor einer „Flut von Asylwerbern“ und vor „Flüchtlingswellen“ warnen, mehren sich. Die Begrif- fe werden quer durch die österreichische Medienland- schaft verwendet. „All diesen Metaphern ist gemein, dass sie sich auf Naturkatastrophen beziehen. Es wird suggeriert, dass man machtlos ist“, sagt die Linguistin Wodak und erläutert, dass derartige Rhetorik eine „dehumanisierende Wirkung“ habe. (…) Die Militarisierung der Sprache ist ebenfalls kein neues Phänomen, Metaphern wie „Festung Europa“, „Ansturm auf die Grenzzäune“ und „belagerte Aufnahmezentren“ werden im alltäglichen Sprachgebrauch verwendet. Transportiert wird dadurch, dass „‚wir‘ uns in einem Kampf ‚mit den Flüchtlingen‘ befinden“, so Wodak. Eine Verdrehung der Tatsachen, wie die Wissenschaftlerin findet: „Es sind die Flüchtlinge, die vor Kriegen fliehen.“ (http://orf.at/stories/222457/222454/, David Tiefenthaler, 5. 8. 2015, abgerufen am 4. 4. 2016) M1 Wie Sprache die Asyldebatte lenkt Die Tragödie des 21. Jahrhunderts Aus keinem anderen Land sind so viele Menschen ge­ flohen wie aus Syrien. Das Hochkommissariat der Verein- ten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) gab 2018 die Zahl der Syrer, die seit 2011 ihr Land verlassen haben, mit 6,7 Millionen an. Unter dem Mandat des UNHCR sind weltweit 20,4 Millionen Flüchtlinge registriert. (…) Derzeit leben in Syrien 19,5 Millionen Menschen. 6,6 Millionen von ihnen – also rund 30 Prozent – sind Binnenflüchtlinge, die der Krieg zu einer Flucht inner- halb Syriens gezwungen hat. Mindestens jeder dritte Binnenflüchtling ist seit 2011 wiederholt vertrieben worden. So handelt es sich bei mehr als Hälfte der Be­ völkerung Idlibs um wiederholt vertriebene Binnen- flüchtlinge, die keine Chance mehr hatten, ins Ausland zu fliehen. Die Nachbarstaaten nehmen seit März 2016 nur noch wenige Flüchtlinge auf. (…) Die Türkei hat 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und damit mehr als jedes andere Land. Aufgrund des Geburtenzuwachses wird die Zahl der Syrer in der Türkei auf bis zu 4 Millionen geschätzt. Der Libanon nahm 930 000 syrische Flüchtlinge auf, womit etwa jeder fünfte Einwohner des Landes ein syrischer Flüchtling ist. In Jordanien registrierte das UNHCR 660 000 syrische Flücht- linge, im Irak (insbesondere in der autonomen Kurden­ region) 245 000, und in Ägypten 130 000. Seit 2011 gelangten etwa 1 Millionen Syrer nach Europa, wo sie Asyl beantragt haben oder als Flüchtlinge regist- riert sind. In Deutschland leben 780 000 Syrer, sie stellen dort die größte Gruppe Schutzbedürftiger. Nur in der Türkei und im Libanon haben sich seit dem Beginn des Kriegs mehr Syrer niedergelassen. In Schweden lag die Zahl der Syrer 2011 bei noch bei niedrigen 20 000; sie ist seither auf 160 000 gestiegen. In allen anderen EU-Ländern liegt die Zahl der syrischen Flüchtlinge wesentlich darunter. (…) Die Internationale Organisation für Migration der UN (IOM) gibt die Zahl der Rückkehrer mit 173 000 an. Sie hat ihr Rückkehrprogramm aufgrund der prekären Sicher- heitslage jedoch ausgesetzt. Wiederholt haben Gast­ länder versucht, Syrer zu einer Heimkehr zu bewegen, jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Aus dem Libanon sind nach Angaben der Regierung in Beirut in den Jahren 2018 und 2019 rund 100 000 Syrer zurückgekehrt, mehr als aus jedem anderen Land. Jordanien gibt für denselben Zeitraum die Zahl von 8000 Rückkehrern an. (https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fluechtlin- geaus-syrien-die-tragoedie-des-21-jahrhunderts-16661310. html?printPagedArticle=true#pageIndex_2, 3. 3. 2020, Rainer Hermann, abgerufen am 3. 6. 2020) M2 Flüchtlinge aus Syrien Kompetenzorientierte Lernziele  die Darstellung von Flucht in Medien analysieren  die Situation von Flüchtlingen erörtern Unerwünschte Außenmigration Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verl gs öbv

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