global 6. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch

45 Konvergenzen und Divergenzen europäischer Gesellschaften erörtern Polen: Der hohe Preis der Auswanderung Tausende polnische Krankenschwestern, Pflegekräfte oder Handwerker arbeiten im Ausland. Das hat Konsequenzen: Viele Kinder wachsen ohne Mutter und Vater auf, weil sie monatelang und länger abwesend sind. Das polnische Internet ist voller Geschichten von Kindern, die sich von ihren Eltern verlassen fühlen, die im Ausland arbeiten. Es gibt Internetforen, in denen sie nach Unter­ stützung suchen und von ihrem Schicksal erzählen. „Hallo, Vati. Ich bin schon 16 Jahre alt. Es ist ein ganzes Jahr her, seit du verreist bist. Jeden Tag rieche ich an dei- nem Hemd, das du hinterlassen hast, weil es in den Koffer nicht reinpasste“, zitiert Maria aus ihrem letzten Brief an den Vater, der in England jobbt. „Meine Mutter ging ins Ausland, als ich 13 war. Sie sollte eigentlich nur für ein paar Monate nach Deutschland, weil sie hier in Polen sehr schlecht verdient hat. Sie konnte sich keine Kleider leisten. Sie ist bis heute dort. Das macht mich traurig“, klagt der 18-jährige Tomek. Als Małgorzata Greber sich für die Ausreise entschloss, wollte sie ihrer Tochter Martyna ein solches Trauma er­ sparen. Sie hatte genug Mut, die damals 8-jährige nach England mitzunehmen. In Polen hatte sie als Kranken- schwester 600 Euro im Monat verdient, in England bekam sie fast das Vierfache. Doch schnell fühlte sie sich einsam, vermisste ihre Heimat, ihre Familie und Freunde. Auch finanziell war es nicht so glänzend, wie sie es sich erhofft hatte. „Die Arbeitsagenturen locken mit viel Geld, aber jeder, der ausreisen will, soll sich genau ausrechnen, wie viel der Lebensunterhalt im jeweiligen Land wirklich kos- ten wird. Nur diejenigen, die als Paare ausreisen, schaffen es gut“, erzählt sie im Gespräch mit der DW. Nach zweieinhalb Jahren kam Greber mit ihrer Tochter nach Polen zurück, um wieder als Krankenschwester zu arbeiten. Das ging aber nur ein halbes Jahr gut. „Das Kind war für mich das Wichtigste, dabei hatte ich ständig 12- und 24-Stunden-Schichten, das war mir zu anstrengend. Und mit dem Lohn war es wieder schwierig auszukom- men“. Derzeit hat Małgorzata einen guten Job in einem Drei-Jahres-Projekt an der Medizinischen Universität Lodz, danach möchte sie wieder in ihren Beruf einsteigen. Sie fragt sich aber, ob sie mit dem Gehalt einer Kranken- schwester in Polen jemals ein würdiges Leben führen kann. Małgorzata zählt zu den wenigen Ausnahmen. Die meis- ten Krankenschwestern, die im Ausland in ihrem erlernten Beruf oder als Pflegekräfte arbeiten, kommen nicht mehr nach Polen zurück – und wenn, dann gehen sie nicht mehr zum staatlichen Gesundheitswesen. Seit dem EU-Beitritt Polens sind mindestens 20 000 in Polen ausgebildete Krankenschwestern ins Ausland ge- gangen, die meisten, um als Pflegekräfte zu arbeiten. Heute gibt es im Lande 280 000 Krankenschwestern, von denen nur 42 000 jünger als 40 sind. Das Durchschnittsal- ter liegt bei 51 Jahren. Im Jahr 2015 gab es 5,2 Kranken- schwestern und 2,3 Ärzte pro 1 000 Einwohner (in Deutsch- land: 13 und 4,1). Das Gesundheitswesen ist chronisch unterfinanziert. Kein Wunder, dass das Personal immer häufiger an Ausreise denkt. Die sozialen Kosten sind aber sehr hoch. Drei Jahre nach dem EU-Beitritt Polens, im Jahr 2007, mussten etwa 1 300 Kinder, derer Eltern im Ausland arbeiteten, in Kinderheimen oder Ersatzfamilien unterge- bracht werden. (https://www.dw.com/de/polen-der-hohe-preis-derauswanderung/a-44107658, 7. 6. 2018, Monika Sieradzka, abgerufen am 3. 6. 2020) M2 Abwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften aus Polen Einfacherer Zugang zur Rot-Weiß-Rot-Karte soll kommen Durch die Reform der Zuzugsberechtigung werden die Gehaltsgrenzen für Schlüsselkräfte gesenkt. Auch der Unterkunftsnachweis soll entfallen. Anträge sollen auch digital gestellt werden können. Die Gewerkschaft Vida befürchtet Lohndumping. Die Regierung hat am Mittwoch im Ministerrat die Reform der Rot-Weiß-Rot-Card angekündigt. Laut dem Ministerrat- vortrag soll der Zugang zu diesem Steuerungsinstrument für den Zuzug von Nicht-EU-Bürgern nach Österreich erleichtert werden. So werden etwa Gehaltsgrenzen gesenkt, auch muss man vor Antragstellung nicht wie bisher schon eine Unterkunft in Österreich nachweisen. Ein konkretes Gesetz soll demnächst folgen. Die Rot-Weiß- Rot-Karte wurde ab Mitte 2011 als Steuerungsinstrument für den Zuzug von Nicht-EU-Bürgern nach Österreich etab- liert. Ziel war es, mittels eines Punktesystems vor allem qualifizierte Beschäftigte für den Arbeitsmarkt zu finden. Ursprünglich war erwartet worden, dass etwa 8 000 Perso- nen jährlich eine Rot-Weiß-Rot-Karte erhalten. Dieser Wert wurde bisher klar verfehlt. Laut Wirtschaftsministerium wurden im Schnitt rund 2 000 Rot-Weiß-Rot-Karten verge- ben. (https://www.diepresse.com/5586488/einfacherer-zugang- zur-rot-weiss-rot-karte-soll-kommen, 27. 2. 2019, abgerufen am 3. 6. 2020) M3 Die Rot-Weiß-Rot-Karte richtet sich an qualifizierte Arbeitskräfte. 1 Erläutern Sie mit Hilfe von M1 und M2, welche Ziellän- der für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv sind. Aus welchen Herkunftsländern stammen sie? 2 Stellen Sie dar, aus welchen Gründen gut ausgebildete Polinnen und Polen ihre Heimat verlassen (M2). 3 Recherchieren Sie die derzeitige Haltung der britischen Regierung sowie der britischen Öffentlichkeit zu zuge- wanderten Arbeitskräften aus der EU. 4 Beurteilen Sie, weshalb die Rot-Weiß-Rot-Karte kein großer Erfolg ist. { { { } Arbeitsheft S. 20 ,21, 22 Nur zu Prüfzwecken – Ei entum des Verlags öbv

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