global 6. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch
44 Fallbeispiel Brain Drain und Brain Gain Diese beiden Begriffe beschreiben Wanderungsbewegun- gen, die qualifizierte Arbeitskräfte von einem Ort, einer Region oder einem Land zum anderen unternehmen. Diese Wanderung hat Folgen für sie selbst sowie für ihre bisheri- ge und ihre neue Heimat. Dabei ist Brain Gain positiv, Brain Drain negativ. Gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten haben in ihrem Zielland ein besseres Arbeitsplatzangebot und erzie- len höhere Einkommen. Das Zielland hat den Vorteil, dass die qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhöhen. Umgekehrt bedeutet ein Wegzug gut ausgebilde- ter Arbeitskräfte für die Herkunftsländer negative Auswir- kungen auf die Wirtschaftskraft des Landes. Migration aus Südosteuropa nach Westeuropa Die Migration innerhalb Europas ist seit der EU-Osterwei- terung stark gestiegen. Das bringt Probleme mit sich, vor allem für die Herkunftsländer. Besonders junge, mobile und gut ausgebildete Menschen locken die Chancen in Westeuropa. Seit 2015, als klar wurde, dass sich die vielen Millionen Menschen, die aus politischen, wirtschaftlichen, klima tischen oder auch anderen Gründen aus Afrika und dem Nahen Osten nach Europa drängen, nicht mehr alle geord- net überprüfen und gegebenenfalls zurückweisen lassen, ist Migration zu einem europäischen Dauerthema gewor- den. Doch gleichzeitig entscheiden sich auch innerhalb Europas immer mehr Menschen zu emigrieren, zumeist, um sich aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen einen neuen Lebensmittelpunkt zu suchen. Die gravierenden Folgen dieser aktuellen Entwicklungen für die EU als Ganzes und für die einzelnen Mitgliedsländer sind in den letzten Jahren offen zutage getreten. (…) Nach aktuellen Angaben des bulgarischen Außenministe- riums lebten Anfang 2019 rund 2,4 Millionen Bulgaren im Ausland, davon mehr als 1,5 Millionen in der EU. Allein im Jahr 2018 ist die Zahl der in Deutschland lebenden Bulga- ren um 30 000 auf rund 340 000 angewachsen. Vergleich- bar viele Bulgaren leben nur noch in der Türkei. Deutsch- land ist seit Jahrzehnten eines der attraktivsten Zielländer für bulgarische Migranten, die oft überdurchschnittlich gut ausgebildet sind. Die Gründe hierfür sind geografi- sche Nähe (im Vergleich zu den anderen Ländern Westeu- ropas, ausgenommen Italien), relativ hohe Löhne, das gute Sozialsystem sowie bestehende bilaterale Abkom- men. Während Deutschland von dieser Zuwanderung profitiert, sieht die bulgarische Wissenschaftsakademie für ihr Land im kommenden Jahrzehnt eine Lücke von 400 000 qualifizierten Arbeitskräften. Auch Ärztemangel wird spürbar: 2017 gab es nur noch 28 000 Ärzte in Bulgari- en, jeder fünfte Mediziner war innerhalb von sieben Jah- ren ausgewandert. Laut Statistischem Bundesamt lebten Anfang 2019 rund 700 000 Menschen rumänischer Herkunft in Deutschland. In Italien und Spanien liegt die Zahl der Rumänen, die dort leben und arbeiten, bei jeweils über einer Million. Kaum ein anderes EU-Land nutzt die Freizügigkeit so stark wie Rumänien. Auch bei der Familienmigration führt das Land die Statistik an. Rund vier Millionen Rumänen (20% der gegenwärtig 20 Millionen Einwohner) leben nach staatlichen Schätzungen außerhalb des Mutterlan- des. Diese Zahl erhöht sich in den Sommermonaten durch Saisonarbeiter auf Baustellen und in der Landwirtschaft um eine weitere Million. Obwohl Rumänien 2016 mit 6,9% das größte Wirtschaftswachstum innerhalb der EU ver- zeichnen konnte, haben laut rumänischem Statistikamt (INS) im Jahr 2017 rund 220 000 Bürgerinnen und Bürger dauerhaft das Land verlassen. Die Altersgruppe der 20–29-Jährigen betrug mit 31,5% fast ein Drittel der Emig- ranten. Niedrige Löhne, das vergleichbar schwache Sozial- system, politische und ökonomische Unsicherheit sowie bessere Jobchancen im Ausland gelten als vorrangige Beweggründe. Die starke Auswanderung hat zur Folge, dass Rumänien in den letzten drei Jahrzehnten 23% seiner Arbeitsbevölkerung verloren hat – vor allem Physi- ker, Ärzte, IT-Spezialisten, Elektrotechniker und Mechani- ker. 30 000 Ärzte und 20 000 Pflegekräfte sowie die Hälfte aller Bauarbeiter haben inzwischen das Land dauerhaft verlassen. Dafür arbeiten 5 000 Vietnamesen auf rumäni- schen Baustellen. Für kroatische Migranten sind vor allem Österreich und Deutschland, hier vor allem Bayern, von großem Interesse. Während im bevölkerungsmäßig zehnmal kleineren Öster- reich rund 250 000 Kroaten leben, wuchs die Zahl der kroa- tischen Staatsbürger, die dauerhaft in Deutschland ansäs- sig sind, zwischen 2010 und 2018 von 220 000 auf etwa 396 000 an. Dabei ergab sich im vergangenen Jahr aus kroatischer Sicht ein Verlust von 29 000 Bürgern, denn 58 000 zogen nach Deutschland und nur 29 000 kehrten zurück. Laut bayerischer Ausländerstatistik leben derzeit 98 000 Kroaten in Bayern, davon 38 000 in München, womit die Kroaten knapp vor den Türken die größte Ausländer- gruppe in der bayerischen Landeshauptstadt stellen. Ein positiver Effekt der Auswanderung ist der Finanztransfer durch die kroatische Diaspora in die Heimat. Laut einem Bericht der Deutschen Welle vom 30. 3. 2018 wurden insge- samt 2,12 Milliarden Euro im Jahr 2017 von kroatischen Staatsbürgern aus dem Ausland in die Heimat transfe- riert, was annähernd 5% des kroatischen BIP entspricht. (https://www.hss.de/news/detail/braindrain-weiterunge bremst-news5118/, 6. 9. 2019, abgerufen am 3. 6. 2020) M1 Braindrain weiter ungebremst Kompetenzorientiertes Lernziel Gründe für Migration von Fachkräften darstellen Erwünschte Außenmigration Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv
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