global 6. Geographie und Wirtschaftskunde, Schülerbuch

38 Fallbeispiel Wer sind „die“ Roma? Obwohl Roma mit über 10 Millionen Angehörigen die größ- te Minderheit in Europa darstellen, sind sie in den meisten Staaten von Ausgrenzung, Diskriminierung und Vorurteilen betroffen. In vielen europäischen Staaten sind sie bereits seit Jahrhunderten ansässig (M1) und gelten daher dort als autochthone Minderheit . Insbesondere in den osteuropäi- schen Ländern lebt die überwiegende Mehrheit der Roma in bitterer Armut. Einem Bericht der Weltbank zufolge ist die Kindersterblichkeit in der Roma-Bevölkerung mindes- tens doppelt so hoch wie in der Mehrheitsbevölkerung, die Lebenserwartung liegt zehn bis 15 Jahre unter der der Mehrheitsbevölkerung. Die typischen Roma gibt es nicht. Viele tauchen in der Ano- nymität von Großstädten unter und assimilieren sich, ande- re hingegen sind stolz auf ihre Volksgruppe und bewahren ihre Kultur. Diese ist geprägt von einer großen Wertschät- zung des Menschen und von Werten wie Toleranz, Liebe, Freiheit und Glücklichsein. Alleine in Österreich gibt es mehrere Roma-Gruppen wie etwa Burgenland-Roma, Sinti, Lovara, Kalderaš, Gurbet und Arlje. Zusätzlich ist ihre Spra- che, Religion, Geschichte und Kultur von der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung beeinflusst und geprägt. Die Bezeichnung Roma leitet sich aus ihren Sprachen ab: „Rom“ bedeutet Mann. Der Begriff „Zigeuner“ wurde von der Dominanzgesellschaft entwickelt, stammt aus dem Griechischen, heißt übersetzt „Unberührbare“ und wird von vielen Roma als diskriminierend empfunden. Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele tausend Roma in Europa systematisch verhaftet, deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. In der Nachkriegszeit wur- den ihnen vielfach weit von den Siedlungen entfernte Grundstücke zugewiesen. Romakinder wurden oft in Son- derschulklassen abgeschoben oder schlossen die Schule nie ab. Bis heute werden Roma-Kinder im Bildungsbereich vielfach diskriminiert. Zur Identität von Roma Die räumliche Segregation und gesellschaftliche Marginali­ sierung der Roma sowie die oft mangelhaften Qualifikatio- nen tragen dazu bei, dass viele Roma arbeitslos sind oder sie die negativen Zuschreibungen der Mehrheitsbevölke- rung übernehmen, ihre Wurzeln gering schätzen und sich schämen, Roma zu sein. Trotz aller Unterschiede weisen Roma vor allem in traditi- onsbewussten Gemeinschaften einige identitätsstiftende Gemeinsamkeiten auf: • Roma sind eine Ethnie ohne eigenen Staat, überall in der Minderheit und ohne eine bedeutende Lobby. • Noch nie haben Roma einen Krieg geführt, terroristische Vereinigungen gebildet oder ihre politischen Ziele mit Gewalt durchgesetzt. • Ihr Zusammengehörigkeitsgefühl basiert auf der Groß­ familie mit besonderer Wertschätzung von Kindern und älteren Menschen. • Romani oder Romanes, die Sprache der Roma, wird von etwa 3,5 Mio. Menschen gesprochen. Romani ist eine indoarische Sprache, die Gemeinsamkeiten mit zentralin- dischen und nordwestindischen Sprachen aufweist. Es ist nirgendwo Amtssprache, ist aber in einigen Ländern wie Österreich oder Deutschland eine anerkannte Minderhei- tensprache. Bis in jüngere Zeit war Romani nur eine gesprochene und mündlich überlieferte Sprache, erst seit dem 20. Jahrhundert gibt es Versuche, Romani als Schriftsprache zu standardisieren. Romani verfügt nach wie vor über keine normierte Schriftform. • Zur Weitergabe des kulturellen Erbes dienten und dienen Märchen, Mythen, Legenden, Lieder und Tänze. • Denkmuster des Dualismus waren in traditionellen Roma-Gemeinschaften verbreitet: rein und unrein bei Speisen, gruppenintern und -extern bei Heirat. • Wie die Dominanzgesellschaften sind Roma einem tiefgreifenden kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Wandel unterworfen. Kompetenzorientierte Lernziele  Verallgemeinerungen und Vorurteile kritisch hinterfragen  Selbst- und Fremdbilder einer diskriminierten Minder- heit analysieren Polen 1509 Serbien 1348 Kreta 1322 Korfu 1346 Bologna 1422 Agram 1380 1300-1400 1200 700 Rom 1422 Barcelona 1447 1400 Paris 1427 Wales 1440 Dänemark 1420 Schweden 1515 1400-1600 Böhmen 1260 Bayern 1414 Sachsen 1418 900? 600-800 Russland 1500 1300 ? ? ? ? Byzanz 866 Transsylvanien 1417 Sisteron 1419 aus Indien 300-400 v. Chr. M1 Zuwanderung der Roma in Europa Vorurteile dienen der Herstellung und Aufrecht- erhaltung des Selbstwert- gefühls inner- halb einer Gruppe der Gruppenbildung durch Einbeziehung sowie Ausgrenzung und stiften daher Identität zur Absicherung eines Macht- gefälles und zur Stabilisierung von Herrschafts- verhältnissen M2 Einige Funktionen von Vorurteilen 0 700 1400 2100 km Maßstab 1:70 000 000 Leben an den Rändern der Gesellschaft – Roma in Europa Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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