126 Der Weg in die EU: das Beitrittsverfahren Laut Artikel 49 des EU-Vertrages steht der Beitritt zur EU prinzipiell jedem europäischen Staat offen, sofern dieser bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu zählen die Achtung und die Förderung der im EU-Vertrag genannten Grundwerte, nämlich die der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Voraussetzung ist auch die Wahrung der Menschenrechte sowie der Rechte von Minderheiten. Ebenso gehören eine funktionierende Marktwirtschaft, eine stabile Demokratie und eine rechtsstaatliche Ordnung zu den Aufnahmekriterien. Ein beitrittswilliger Staat muss beim Europäischen Rat einen Beitrittsantrag stellen. Der Rat kann dem Staat mit Zustimmung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments den Status eines Beitrittskandidaten verleihen. Nun können Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Seitens der EU werden die Verhandlungen von der Kommission geführt. Auf Beitrittskonferenzen werden 35 Politikfelder, so genannte Verhandlungskapitel, ausgehandelt. Während der Verhandlungen prüft die Kommission in regelmäßigen Abständen, welche Reformen zur Angleichung noch notwendig sind. Werden EU-Grundwerte schwerwiegend verletzt, können die Verhandlungen jederzeit ausgesetzt werden. Sind alle Verhandlungskapitel abgeschlossen, wird ein Beitrittsvertrag ausgearbeitet, dem die Kommission, der Rat (einstimmig) und das Europäische Parlament (mit absoluter Mehrheit) zustimmen müssen. Danach kann der Vertrag unterzeichnet werden. Im Ratifizierungsprozess muss der Beitrittsvertrag vom Beitrittskandidaten und allen EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. In einigen Staaten, zB Frankreich, ist dafür eine Volksabstimmung vorgesehen, in anderen Staaten erfolgt die Ratifizierung durch einen Parlamentsbeschluss. Erst nach Abschluss der Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten kann die Vollmitgliedschaft des Beitrittslandes in Kraft treten. Die Dauer des Beitrittsverfahrens ist von Land zu Land unterschiedlich. Vorteile eines EU-Beitritts Ein EU-Beitritt ermöglicht eine engere politische Zusammenarbeit der Staaten und erleichtert das Verfolgen gemeinsamer Ziele. Ärmere Mitgliedsländer erhalten im Rahmen von EU-Förderungen finanzielle Unterstützung, reichere Länder profitieren vom Verkauf zollfrei gehandelter Produkte in andere EU-Staaten. Ein EU-Beitritt bedeutet für ärmere Staaten mehr Wohlstand, mehr Arbeitsplätze, einen höheren Lebensstandard und mehr gesetzlichen Schutz. Der Handel profitiert, die Wirtschaft wächst. Dadurch lukriert der Staat mehr Steuern. Auch in ärmeren Ländern gelten EU-Standards zB zum Klima- und Umweltschutz. Nachteile eines EU-Beitritts Reichere Staaten befürchten, dass ihr Wohlstand durch ärmere Mitgliedsländer, die EU-Fördermittel erhalten, gefährdet ist. Zudem befürchten Bürgerinnen und Bürger wohlhabenderer Staaten die Zuwanderung aus den ärmeren Ländern, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen und Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Immer wieder werden von der EU Gesetze verabschiedet, die von den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedstaaten mehrheitlich abgelehnt werden, zB der Anbau und Verkauf von gentechnisch behandeltem Obst und Gemüse. Die EU hat die Aussaat von Gensaatgut für zulässig erklärt. Ärmere Länder fürchten einen Preisanstieg, höhere Steuern und Nachteile für die Landwirtschaft. Zahlreiche Kleinunternehmerinnen und -unternehmer fürchten um ihre Existenz, da große Konzerne enormen Einfluss in der EU ausüben. Eine Angleichung der EU-Länder auf ein einheitliches Wohlstandsniveau wird durch billige Arbeitskräfte, die in die reicheren Länder wandern, unmöglich gemacht. Die Abwanderung von Betrieben in kostengünstigere Mitgliedstaaten, zB in die mittel- und osteuropäischen Länder, erhöht die Arbeitslosigkeit in den kostenintensiveren Ländern. Von der Flüchtlingsproblematik und von illegaler Einwanderung sind die Länder an den Außengrenzen der EU, in der Regel die ärmeren Länder, deutlich stärker betroffen als die Länder im Zentrum. 25 Jahre EU-Beitritt: „Mitten im Herzen Europas gelandet“ Dabei sieht die Bilanz durchaus positiv aus: Laut „Wirtschaftsforschungsinstitut“ (Wifo) sind vor allem die Exportsteigerungen Österreichs um die Hälfte höher ausgefallen als ohne EU-Mitgliedschaft. Insgesamt haben sich die Exporte Österreichs schon in den ersten zehn Jahren in der EU vervierfacht. Der EU-Beitritt brachte Österreich bisher knapp 500 000 neue Jobs. Durch billigere Importe – hauptsächlich wegen des Wegfalls von Zöllen – liegt auch das Preisniveau um 2,4 Prozent niedriger. Ein großer Wachstums-Effekt für Österreich war die 2004 erfolgte Osterweiterung. „Österreich konnte seine geografische Lage zu seinem Vorteil nutzen und somit zu einem der großen ökonomischen Gewinner der EU-Osterweiterung werden“, hält das Wifo in seiner Bewertung fest. Die heimischen Unternehmen hätten sehr früh die Marktpotenziale in Osteuropa erkannt. Österreich stieg – nach Luxemburg und Irland – beim BIP pro Kopf zum drittreichsten Land in der EU auf. (https://www.profil.at/oesterreich/eu-beitritt- bilanz-11288768, 30.12. 2019, Otmar Lahodynsky , abgerufen am 30.4.2020) M1 Österreich und die EU Kompetenzorientierte Lernziele anhand ausgewählter Beispiele die Veränderungen in Raum, Wirtschaft und Gesellschaft nach einem Beitritt zur Europäischen Union aufzeigen Vor- und Nachteile einer EU-Mitgliedschaft bewerten Veränderungen durch den EU-Beitritt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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