Starke Seiten Deutsch 4, Schulbuch, aktualisierte Ausgabe

Texte verstehen: Das rote Fahrrad Am 7. April 1944 trägt Éva in ihr Tagebuch ein: Heute haben sie mein rotes Fahrrad abgeholt. Das kannst du mir glauben, mein liebes Tagebuch, ich habe einen furchtbaren Schreck gekriegt, als die Polizisten ins Haus kamen. Sie verbreiten doch überall, wo sie auftauchen, nur Schrecken. Ich will es dir, liebes Tagebuch, lieber gleich sagen, wie es gewesen ist: Ich habe mich auf den Boden geworfen, das Hinterrad meines Fahrrads fest umklammert und geschrien, die Polizisten beschimpft, sie sollten sich schämen, einem Kind sein Fahrrad wegzunehmen. Das ist doch glatter Diebstahl, habe ich gerufen. Länger als ein Jahr haben wir darauf gespart. Dieses rote Fahrrad war mein Ein und Alles, von Anfang an! Ich habe ihm sogar einen Namen gegeben, Freitag hieß es. Einer der Polizisten hat sich furchtbar aufgeregt. Das fehlte gerade noch, dass dieses närrische Judenmädchen ihm wegen dem Rad so einen Zirkus macht. Ihr Juden habt hier lange genug alles gehabt, und unsere Soldaten müssen an der Front hungern und frieren. Du kannst dir denken, mein geliebtes Tagebuch, wie mir zumute war, als der Polizist mir das ins Gesicht sagte. So etwas hat bis jetzt nur in den deutschen Zeitungen gestanden und war im Radio zu hören. Glaubt dieser freche Mensch vielleicht, wir hätten das Fahrrad gestohlen? Wir haben es doch für viel Geld bei Hoffmann gekauft, und alle mussten für das Geld fest arbeiten. Aber stell dir vor, liebes Tagebuch, dem anderen Polizisten habe ich wahrscheinlich leid getan. Hören Sie doch auf, Kollege!, hat er gesagt. Haben Sie kein Herz? Wie können Sie so reden mit diesem netten kleinen Mädchen? Er hat mir sogar übers Haar gestrichen und mir versprochen, auf das Fahrrad aufzupassen. Sogar eine Quittung hat er mir ausgestellt und gesagt, ich solle nicht weinen, nach dem Krieg würde ich mein Rad sicher zurückbekommen. Ági meint, dass wir bis jetzt ja noch Glück hatten und man sie lassen muss, egal, was sie bei uns wegholen. Weil wir doch nichts dagegen tun können. Und diese Verbrecher sollen nicht sehen, wie wir leiden. Ich kann Ági da nicht verstehen. Mir ist es ganz egal, ob sie es sehen oder nicht, dass wir leiden, wenn sie uns doch alles nehmen. Und bald haben wir ja auch kein Geld mehr, um was zu essen zu kaufen. Alle müssen dann leiden. In Pest ist dauernd Bombenalarm. Ich habe Angst, mein kleines Tagebuch, dass wir das bald auch hier haben werden. Ich kann jetzt sonst nichts schreiben, weil ich immer daran denken muss, was wird, wenn sie hier in Várad Bomben auf uns werfen. Ich will doch leben. Unbedingt. Ágnes Zsolt Beantworte die Fragen und vervollständige die Sätze. Wer oder was ist Freitag? Ein Polizist beschimpft Éva, er sagt: Weshalb reagiert er auf diese Weise? Was befürchtet Éva? Überlegt zu zweit, wie ihr an Évas Stelle reagiert hättet. Tipp Pest ist ein Stadtteil von Budapest. Várad ist die Abkürzung von Nagyvárad. 1 5 10 15 20 25 30 38 39 102 Persönliche Schicksale Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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