Starke Seiten Deutsch 2, Schulbuch, aktualisierte Ausgabe

Texte lesen: Solche Schelme! Baron Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel In der Bibliothek des Freiherrn von Münchhausen sitzen viele adelige Herren vor dem Kamin, in dem herrlich knisternd dicke Holzscheite brennen, und warten. Endlich beginnt der Baron zu erzählen. „Einem Mann, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Litauer einer war, zu reiten vermochte, dem können Sie wohl auch ein anderes Reiterstückchen zutrauen, obwohl ich – gerade wegen meiner Liebe zur Wahrheit – selbst zugeben muss, dass es für misstrauische Ohren ein wenig unglaubwürdig klingen mag. Wir belagerten eine Stadt und dem Feldmarschall lag ganz ungewöhnlich viel daran, eine möglichst genaue Kenntnis zu erhalten, wie die Dinge in der Stadt stünden. Doch schien es äußerst schwierig, ja so gut wie unmöglich, durch alle Vorposten, Wachen und Befestigungen in die Stadt hineinzugelangen. Da durchzuckte mich ein jäher Gedanke, den ich sogleich in die Tat umsetzen wollte. Vor Mut und Eifer fast ein wenig zu rasch stellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die soeben auf die Stadt abgefeuert wurde, und sprang schnell auf die heransausende Kugel in der Absicht, mich auf diese Weise in die Stadt zu begeben. Sie dürfen es mir glauben, meine Herren, es war der sonderbarste Ritt, den ich je getan hatte. Wohin würde es mich tragen? Als ich den höchsten Punkt erreicht und somit die Hälfte des Luftrittes hinter mir hatte, kamen mir doch allerlei Bedenken. „Hm“, dachte ich, „hinein wirst du wohl kommen, aber wie kommst du danach wieder heraus? Und wie wird es dir ergehen, wenn sie dich fangen und als Spion erkennen? Da machen sie sicher kurzen Prozess und du bist dein Leben los!“ Nach diesen unerfreulichen Betrachtungen fasste ich einen raschen Entschluss. Als gerade eine gleich große Kanonenkugel aus der Stadt nahe an mir vorbei in Richtung unseres Lagers flog, nahm ich die glückliche Gelegenheit wahr und sprang auf diese Kugel. Der Blick, den ich von der Höhe in Sekundenschnelle auf die Stadt hatte werfen können, genügte vollauf zu einem ausführlichen Bericht, wie ihn der Feldmarschall brauchte. Wohlbehalten gelangte ich auf der feindlichen Kugel wieder zurück. Dieser kühne Sprung von der einen auf die andere Kugel brachte mir manche Ehre ein. Nun, meine Herren, das war mein außergewöhnlichster Ritt. Für heute aber empfehle ich mich und wünsche Ihnen allen eine angenehme Ruhe!“ Nach: Kurt Eigl Baron Münchhausens Pferd hat keinen Namen. Welchen würdest du ihm geben? Tipp Feldmarschall ist ein hoher militärischer Rang. Tipp Baron Freiherr von Münchhausen kann mit Worten sehr gut umgehen. So erzählt er seinem Publikum an kalten Winter­ tagen von seinen Abenteuern, allerdings übertreibt er dabei auch gerne ein wenig. 1 5 10 15 20 25 30 8 52 Seltsame Vögel Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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