Die Literatur im Biedermeier Die Literatur im Biedermeier zeigt sich von zwei Seiten. Zum einen bringt sie viele amüsante und „spießige“ kurze Texte hervor, zum anderen konzentrieren sich die Themen auf Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht und Traurigkeit. Diese Zweigleisigkeit18 erklärt sich durch die ärgerliche Verzweiflung über die politischen Gegebenheiten auf der einen und die Flucht ins Häusliche auf der anderen Seite. 18 zwei Möglichkeiten oder zwei Aspekte beschreiben Der Baron von Münchhausen Eine der bekanntesten literarischen Figuren aus der Zeit des Biedermeier ist der Baron von Münchhausen mit seinen unglaublichen Geschichten. Viele von Ihnen werden die eine oder andere schon gelesen haben. Zahlreiche Autoren dieser Zeit beschäftigten sich mit den Geschichten rund um den Baron, darunter Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger. Das Werk Bürgers, das teilweise starke Anleihe an Raspes Werk nimmt, gehört dabei zu den bekanntesten. Der Erfolg der Münchhausen-Geschichten zeigt sich auch in den immer fortlaufenden Bearbeitungen des Stoffes, wie der von Karl Immermann. A37 Lesen Sie den folgenden Auszug aus Immermanns Werk Münchhausen. Überlegen Sie mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner, was an diesem Werk den Menschen im Biedermeier so gut gefallen haben könnte. Bedenken Sie dabei, dass Ironie im Biedermeier hochgeschätzt wurde und diese Form des Humors gerade in literarischer Hinsicht zu hoher Beliebtheit gelangte. Karl Immermann: Münchhausen − Neuntes Kapitel (1838/39) Verständnisse und Mißverständnisse, Sehnsucht, Orden, Gesinnungen und Ehrenstellen; Görres und Strauß19; die Pücelle d’Orléans20, Zeichen, Wunder und neue Geheimnisse In den nächsten Tagen nach der Ankunft des Fremden ging das schwärmende Entzücken der Schloßbewohner über den wunderbaren Mann in den ruhigeren, aber um so festeren Glauben über, daß in ihm der vom Verhängnis bestimmte Heiland ihrer Wünsche erschienen sei. Denn der alte Baron merkte schon am ersten Abende, an welchem er Münchhausens Unterhaltung genoß, daß mit den Kenntnissen, Erfahrungen, Schicksalen, Blicken, Ideen und Hypothesen seines Gastes niemand zwischen Himmel und Erde sich zu messen vermöge. Er war, seinen Erzählungen zufolge, fast in allen bekannten und unbekannten Gegenden der Erde gewesen, hatte sämtliche Künste und Wissenschaften getrieben, zu Weinsberg21 Blicke in das Geisterreich getan, war durch alle Lagen des Lebens abwechselnd als Küchenjunge, Krieger, Staatsmann, Naturforscher und Maschinenbauer gegangen. Selbst in außermenschliche Regionen war sein Lebenslos geworfen worden; er ließ nach den ersten Stunden der Bekanntschaft merken, daß er einen Teil seiner Tage unter dem Vieh zugebracht habe. Der alte Baron hatte hauptsächlich die Abendstunden, in welchen die Gesellschaft sich im Wohnzimmer zu versammeln pflegte, und bei dem Scheine einer Kerze auf den hölzernen Schemeln um den kiefernen Tisch saß, sich zu Mitteilungen erbeten. Für die Gartenpromenaden war von ihm ein noch strengeres Silentium22 festgesetzt worden, als früherhin, „denn“, sagte er, „man muß den Tag zum Nachdenken frei behalten, darüber, was Münchhausen am Abend erzählt; des Stoffes wird sonst zuviel, und wir werden alle drehend, wie die Schafe, von der Weisheit dieses Mannes.“ – Aus dem Journalzirkel trat er nun wieder aus; in seinem Gaste besaß er jetzt mehr, als ihm eine Zeitschrift bieten konnte, der Geist aller Journale erschien in Münchhausen verkörpert. Immer ging der wunderbare Mann bei seinen Erzählungen von etwas Bekanntem und Verbürgtem23 aus, erhob sich aber von dieser Grundfläche zu den kühnsten und abenteuerlichsten Schwüngen, so daß man wohl sagen konnte, er stelle recht eigentlich in seiner Person den gewaltigen Fortschritt unserer Zeit dar. Freilich blieb die Empfindung des Schloßherrn nicht ganz ohne eine hin und wieder hervortretenB 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 Szene von Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel, 1873 83 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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