sprachreif 3/4, Schülerbuch

neigte mich wieder, und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich glotzte ihn voller Angst an, und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher, und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden. „Verzeihung, bitte, ich will Sie was fragen“ – „Aber um Gotteswillen, mein Herr!“ brach ich in meiner Angst aus, „was kann ich für einen Mann tun, der“ – wir stutzten beide, und wurden, wie ich mir dachte, rot. Er faselte nach einem Augenblick des Schweigens wieder weiter: „Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoss, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab ich, mein Herr, einige Mal – erlauben Sie, dass ich es Ihnen sage – wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die frechen Worte. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?“ Er schwieg, und mir wurde ganz anders. Was sollt ich aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? Er muss verrückt sein, dacht ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demut des seinigen besser passte, erwiderte ich also: „Digga! Guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem eignen Schatten genug? Das heiß ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen Sorte.“ Er fiel sogleich wieder ein: „Ich hab in meiner Tasche manches, was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen unschätzbaren Schatten kann ich schon was lockermachen.“ Nun überfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward, und ich wusste nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen können. Ich nahm wieder das Wort, und suchte es, wo möglich, mit unendlicher Höflichkeit wieder gut zu machen. „Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Knecht. Ich verstehe wohl Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt ich nur meinen Schatten“ – Er unterbrach mich: „Ich würde Sie nur gerne bitten, hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu dürfen und zu mir zu stecken; wie ich das mache, sei meine Sorge.“ […] Ich bekam einen Schwindel, und es flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen. […] QUELLE: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2013. A27 Finden Sie in den romantischen Gedichten alle rhetorischen Stilmittel. Joseph von Eichendorff: Die Nachtblume (1841) Nacht ist wie ein stilles Meer, Lust und Leid und Liebesklagen Kommen so verworren her In dem linden Wellenschlagen. Wünsche wie die Wolken sind, Schiffen durch die stillen Räume, Wer erkennt im lauen Wind, Obs Gedanken oder Träume? – Schließ ich nun auch Herz und Mund, Die so gern den Sternen klagen: Leise doch im Herzensgrund Bleibt das linde Wellenschlagen. QUELLE: http://www.textlog.de/22659.html; (abgerufen am 22.12.2021) Nikolaus Lenau: Bitte (1832) Weil auf mir, du dunkles Auge, Übe deine ganze Macht, Ernste, milde, träumerische, Unergründlich süße Nacht! Nimm mit deinem Zauberdunkel Diese Welt von hinnen mir, Dass du über meinem Leben Einsam schwebest für und für. QUELLE: https://www.zgedichte.de/gedichte/nikolaus-lenau/bitte.html; (abgerufen am 22.12.2021) 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 2 4 6 8 10 12 2 4 6 8 59 Stilübungen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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