Wie entwickelt und verändert sich Sprache? Unser heutiges Deutsch entwickelte sich durch die erste und die zweite Lautverschiebung aus dem Indogermanischen. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts spricht man Neuhochdeutsch, welches bis zum heutigen Tag einer ständigen Wandlung bzw. Weiterentwicklung folgt. Sprache ist ein sich ständig veränderndes System und so trägt auch die Debatte um das Gendern dazu bei, dass sich unsere Sprache bzw. vor allem unser Sprachgebrauch stetig verändert. A39 Lesen Sie das Interview zum Thema „Gendern in der deutschen Sprache“ mit Peter Ernst, welcher als Universitätsprofessor am Wiener Institut für Germanistik und Mitglied des Rats für deutsche Rechtschreibung tätig ist. Beantworten Sie die folgende Aufgabenstellung gut begründet (3-B-Methode): • Erklären Sie, warum die Aussage, Gendern würde zur inkorrekten Sprachverwendung führen, nicht richtig ist. Welchen Blick haben Sie auf das generische Maskulinum? Was man nicht machen sollte, ist, dass man ganz generell sagt, die Männer hätten nur sich selbst benannt und die Frauen vergessen. Oftmals gibt es ja zwischen dem biologischen Geschlecht und dem grammatischen Genus im Deutschen keine Übereinstimmung (z. B. bei „das Mädchen“). Indogermanische Sprachen haben gar nicht drei Genera. Es spricht sehr viel dafür in der Sprachgeschichte, dass das ursprüngliche Maskulin und das davon abgeleitete Femininum nicht einen Geschlechtsunterschied a priori darstellt. In der Gegenwart ist das aber wieder anders, weil sich vieles in der Sprachbetrachtung geändert hat. Zum generischen Maskulinum möchte ich außerdem noch sagen, dass viele nicht wissen, dass es auch ein generisches Femininum gibt. Es gibt da berühmte Beispiele. Zu „der Kunde“ gab es noch in den 1960er Jahren „die Kunde“ als allgemeine Bezeichnung für jemanden, der etwas kauft. Zu „Witwe“ wurde sekundär „der Witwer“ gebildet, ebenso „der Hexer“ zu „die Hexe“. Das sind jetzt aber Ausdrücke, von denen man die männliche Form sehr gut kennt und mittlerweile wurde ja auch schon „der Kunde“ wieder zur dominanteren Form, oder? Ja, genau da haben Pusch und Trömel-Plötz angemerkt, dass es dort, wo es keine männlichen Formen gibt, sofort zur Ausbildung dieser kommt und dass das beim Femininum nicht so ist und es heißt: „Da können wir ruhig bei der männlichen Form bleiben.“ Das generische Maskulinum wird kritischer gesehen, weil sich gesellschaftlich viel getan hat? Es hat sich in der Sprachbetrachtung einiges geändert. Am Anfang steht die Sapir-Whorf-Hypothese bzw. die sogenannte sprachliche Relativität, die von den amerikanischen Linguisten Benjamin Lee Whorf und Edward Sapir geprägt wurde, deren Ansätze es aber im Deutschen auch bei Humboldt gegeben hat. Die Idee dahinter ist, dass wir alle als Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Sprachgemeinschaft in der Muttersprache aufwachsen und die Strukturen übernehmen, ohne darüber nachzudenken. Daraus könnte resultieren, dass etwas, wofür es keine Wörter gibt, auch nicht gedacht werden kann. Das kann so nicht 1:1 umgelegt werden, aber diese Vorstellung gibt es und das war auch Anlass für die Frauenbewegung in den 68er Jahren. Da war der Anspruch, stärker in Erscheinung zu treten, nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch sprachlich. Denn wenn die Frauen in der Sprache nicht genannt werden, dann werden sie auch nicht mitgedacht. Denken Sie, es wäre als Frau im Lichte dieser Diskussion falsch, zu sagen „Ich bin Mieter einer Wohnung“? Das kann auch nicht so eindeutig beantwortet werden. Die heutige Diskussion um Gendern wird meines Erachtens von drei Punkten dominiert: Sprachschönheit, Sprachrichtigkeit und Sprachpraktikabilität. Das Argument, Gendern gefalle mir nicht, zählt einfach nicht aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Das mit der Sprachrichtigkeit ist insofern schwierig, als es kein Richtig oder Falsch gibt, denn die Grammatik ist ja nicht genormt. Ich erle2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 228 8 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=