Das Thema „Krieg“ in der Literatur In der Epik … A28 Lesen Sie den Auszug aus Die Welt von Gestern von Stefan Zweig. Analysieren Sie inhaltlich und sprachlich, wie der Eindruck von der Zeit der k.u.k. Monarchie zustande kommt. Erklären Sie, inwiefern es sich um das „Zeitalter der Vernunft“ für den Erzähler handelt. Stefan Zweig: Die Welt von Gestern (1942 posthum) Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit. Alles in unserer fast tausendjährigen österreichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit. Die Rechte, die er seinen Bürgern gewährte, waren verbrieft vom Parlament, der frei gewählten Vertretung des Volkes, und jede Pflicht genau begrenzt. Unsere Währung, die österreichische Krone, lief in blanken Goldstücken um und verbürgte damit ihre Unwandelbarkeit. Jeder wusste, wieviel er besaß oder wieviel ihm zukam, was erlaubt und was verboten war. Alles hatte seine Norm, sein bestimmtes Maß und Gewicht. Wer ein Vermögen besaß, konnte genau errechnen, wieviel an Zinsen es alljährlich zubrachte, der Beamte, der Offizier wiederum fand im Kalender verlässlich das Jahr, in dem er avancieren werde und in dem er in Pension gehen würde. Jede Familie hatte ihr bestimmtes Budget, sie wusste, wieviel sie zu verbrauchen hatte für Wohnen und Essen, für Sommerreise und Repräsentation, außerdem war unweigerlich ein kleiner Betrag sorgsam für Unvorhergesehenes, für Krankheit und Arzt bereitgestellt. Wer ein Haus besaß, betrachtete es als sichere Heimstatt für Kinder und Enkel, Hof und Geschäft vererbte sich von Geschlecht zu Geschlecht; während ein Säugling noch in der Wiege lag, legte man in der Sparbüchse oder der Sparkasse bereits einen ersten Obolus für den Lebensweg zurecht, eine kleine „Reserve“ für die Zukunft. Alles stand in diesem weiten Reiche fest und unverrückbar an seiner Stelle und an der höchsten der greise Kaiser; aber sollte er sterben, so wusste man (oder meinte man), würde ein anderer kommen und nichts sich ändern in der wohlberechneten Ordnung. Niemand glaubte an Kriege, an Revolutionen und Umstürze. Alles Radikale, alles Gewaltsame schien bereits unmöglich in einem Zeitalter der Vernunft. QUELLE: Zweig, Stefan: Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Frankfurt am Main: Fischer 1993. MERKENSWERT Österreichische Literatur der Zwischenkriegszeit Schriftsteller wie zum Beispiel Ödön von Horvath, Joseph Roth, Karl Kraus, Robert Musil und Stefan Zweig thematisierten die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme dieser Zeit: Niedergang der Habsburger Monarchie, Krieg, gesellschaftliche Zwänge und deren Ausweglosigkeit, Radikalisierung der Gesellschaft. INFOBOX Stefan Zweig, geboren 1882 in Wien, war ein bereits zu Lebzeiten international bekannter Schriftsteller und Pazifist. Seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Den Ständestaat Österreichs ablehnend und später als jüdischer Autor von den Nationalsozialisten geächtet, emigrierte Zweig bereits 1934 nach England, ehe er 1940 nach Brasilien ins Exil ging. Dort nahm er sich 1942 das Leben. Stefan Zweig, um 1928 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 172 6 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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