sehen mich an, Else, als wenn ich verr ckt w re. Ich bin es vielleicht ein wenig, denn es geht ein Zauber von Ihnen aus Else, den Sie selbst wohl nicht ahnen. Sie m ssen f hlen, Else, dass meine Bitte keine Beleidigung bedeutet. Ja, ‚Bitte’ sage ich, wenn sie auch einer Erpressung zum Verzweifeln hnlich sieht. Aber ich bin kein Erpresser, ich bin nur ein Mensch, der mancherlei Erfahrungen gemacht hat, – unter andern die, dass alles auf der Welt seinen Preis hat und dass einer, der sein Geld verschenkt, wenn er in der Lage ist, einen Gegenwert daf r zu bekommen, ein ausgemachter Narr ist. Und – was ich mir diesmal kaufen will, Else, so viel es auch ist, Sie werden nicht rmer dadurch, dass Sie es verkaufen. Und dass es ein Geheimnis bleiben w rde zwischen Ihnen und mir, das schw re ich Ihnen, Else, bei – bei all den Reizen, durch deren Enth llung Sie mich begl cken w rden.“ – Wo hat er so reden gelernt? Es klingt wie aus einem Buch. – „Und ich schw re Ihnen auch, dass ich – von der Situation keinen Gebrauch machen werde, der in unserem Vertrag nicht vorgesehen war. Nichts anderes verlange ich von Ihnen, als eine Viertelstunde dastehen d rfen in Andacht vor Ihrer Sch nheit. Mein Zimmer liegt im gleichen Stockwerk wie das Ihre, Else, Nummer f nfundsechzig, leicht zu merken. Der schwedische Tennisspieler, von dem Sie heut’ sprachen, war doch gerade f nfundsechzig Jahre alt?“ – Er ist verrückt! Warum lasse ich ihn weiterreden? Ich bin gelähmt. – „Aber wenn es Ihnen aus irgendeinem Grunde nicht passt, mich auf Zimmer Nummer f nfundsechzig zu besuchen, Else, so schlage ich Ihnen einen kleinen Spaziergang nach dem Diner vor. Es gibt eine Lichtung im Walde, ich habe sie neulich ganz zuf llig entdeckt, kaum f nf Minuten weit von unserem Hotel. – Es wird eine wundervolle Sommernacht heute, beinahe warm, und das Sternenlicht wird Sie herrlich kleiden.“ – Wie zu einer Sklavin spricht er. Ich spucke ihm ins Gesicht. – „Sie sollen mir nicht gleich antworten, Else. berlegen Sie. Nach dem Diner werden Sie mir g tigst Ihre Entscheidung kundtun.“ – Warum sagt er denn „kundtun“. Was für ein blödes Wort: kundtun. – „ berlegen Sie in aller Ruhe. Sie werden vielleicht sp ren, dass es nicht einfach ein Handel ist, den ich Ihnen vorschlage.“ – Was denn, du klingender Schuft! – „Sie werden m glicherweise ahnen, dass ein Mann zu Ihnen spricht, der ziemlich einsam und nicht besonders gl cklich ist und der vielleicht einige Nachsicht verdient.“ – Affektierter Schuft. Spricht wie ein schlechter Schauspieler. Seine gepflegten Finger sehen aus wie Krallen. Nein, nein, ich will nicht. Warum sag’ ich es denn nicht. Bring’ dich um, Papa! Was will er denn mit meiner Hand? Ganz schlaff ist mein Arm. Er führt meine Hand an seine Lippen. Heiße Lippen. Pfui! Meine Hand ist kalt. Ich hätte Lust, ihm den Hut herunter zu blasen. Ha, wie komisch wär’ das. Bald ausgeküsst, du Schuft? – […] „Also auf Wiedersehen, Else.“ – Ich antworte nichts. Regungslos stehe ich da. Er sieht mir ins Auge. Mein Gesicht ist undurchdringlich. Er weiß gar nichts. Er weiß nicht, ob ich kommen werde oder nicht. Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur, dass alles aus ist. Ich bin halbtot. Da geht er. Ein wenig gebückt. Schuft! Er fühlt meinen Blick auf seinem Nacken. Wen grüßt er denn? Zwei Damen. Als wäre er ein Graf, so grüßt er. Paul soll ihn fordern und ihn totschießen. Oder Rudi. Was glaubt er denn eigentlich? Unverschämter Kerl! Nie und nimmer. Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, Papa, du musst dich umbringen. – Die Zwei kommen offenbar von einer Tour. Beide hübsch, er und sie. Haben sie noch Zeit, sich vor dem Diner umzukleiden? Sind gewiss auf der Hochzeitsreise oder vielleicht gar nicht verheiratet. Ich werde nie auf einer Hochzeitsreise sein. Dreißigtausend Gulden. Nein, nein, nein! Gibt es keine dreißigtausend Gulden auf der Welt? Ich fahre zu Fiala. Ich komme noch zurecht. Gnade, Gnade, Herr Doktor Fiala. Mit Vergnügen, mein Fräulein. Bemühen Sie sich in mein Schlafzimmer. – Tu mir doch den Gefallen, Paul, verlange dreißigtausend Gulden von deinem Vater. Sage, du hast Spielschulden, du musst dich sonst erschießen. Gern, liebe Kusine. Ich habe Zimmer Nummer soundsoviel, um Mitternacht erwarte ich dich. O, Herr von Dorsday, wie bescheiden sind Sie. Vorläufig. Jetzt kleidet er sich um. Smoking. Also entscheiden wir uns. Wiese im Mondenschein oder Zimmer Nummer fünfundsechzig? Wird er mich im Smoking in den Wald begleiten? […] QUELLE: Arthur Schnitzler: Fräulein Else. Herausgegeben von Johannes Pankau. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 2002, S. 34 ff. (Rechtschreibung adaptiert) Else erfüllt den Wunsch Dorsdays letztendlich, zeigt sich aber nicht wie gewünscht nur ihm alleine nackt, sondern allen vor dem Abendessen im Musiksalon des Hotels. Danach fällt sie in eine Scheinohnmacht, wenig später begeht sie auf ihrem Zimmer mit dem Schlafmittel Veronal Selbstmord. 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 133 Schriftliche Kompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=