62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 Sie sich selbst auf einem Rundgang, der Sie an allen Waren vorbeif hrt.“ Voss: „Die Kunden mussten sich erst daran gew hnen, dass das ganz neue Vorg nge sind. Zum Beispiel auch, dass das Herausholen aus dem Regal ja auch schon ein Entscheidungsprozess ist. […] Das heißt, die Kunden treffen die Entscheidung schon am Regal – und nicht dann, wenn sie einer Verk uferin gegen berstehen.“ G nter Voss besch ftigt sich mit dem Ph nomen des arbeitenden Kunden schon seit rund zwanzig Jahren. Dass viele Menschen bereit sind, quasi freiwillig verschiedene Aufgaben zu bernehmen, f r die fr her Fach- und Servicekr fte zust ndig waren, berrascht den Soziologen nicht. Dies sei vor allem auf den Wertewandel zur ckzuf hren, der im Zuge der politischen Protestbewegungen Ende der 1960er-Jahre einsetzte. Voss: „Traditionelle Werte, noch aus der Vorkriegszeit, erodierten. Und ein Teil dieses Wertewandels war, dass selbst Entscheidungen treffen – wenn man so will, auch ein demokratischer Wert –, sich zu beteiligen etwa bei Auswahl-Prozessen hinsichtlich von Produkten, die man kaufen will –, dass das auf einmal ein Wert war, und man auch stolz darauf war, das zu k nnen und auch zu machen. Also: Die Akzeptanz hatte viel auch mit diesem Wert auf Seiten der Konsumenten zu tun. Sonst h tte das nicht funktioniert.“ Der Käufer als Co-Produzent Zu Beginn beschr nkten sich die Aktivit ten der arbeitenden Kunden in der Regel auf den Dienstleistungs-Sektor – wie etwa die Selbstbedienung beim Einkaufen oder das Gr nden einer Selbsthilfe-Gruppe im Gesundheitswesen. Im Zuge der Do-it-yourself-Bewegung der 1970er-Jahre begannen die Konsumenten dann zunehmend damit, auch handwerkliche T tigkeiten zu bernehmen. Dies wiederum wussten Firmen wie IKEA clever f r sich zu nutzen: Sie bertrugen den K ufern fortan quasi die Rolle des Co-Produzenten. Die Endfertigung der M bel ging damit vom eigentlichen Hersteller auf den Kunden ber. Im Gegenzug bekommt der die Ware seitdem daf r g nstiger. Aus Sicht der Industrie-Soziologie wird der Verbraucher auf diese Weise faktisch zur externen Arbeits- und Produktionseinheit eines Unternehmens – und damit zur betrieblich funktionalen Arbeitskraft, ohne jedoch dabei den formellen Status als lohnabh ngig Besch ftigter zu erlangen. Die Kompetenz des arbeitenden Kunden – im Beispiel IKEA also das Zusammenbauen der M bel – wird in eine betrieblich verwertbare, praktische Leistung umgewandelt. […] Im Klartext: Um bei ihren eigenen Mitarbeitern eine m glichst optimale, messbare Arbeitsleistung zu erreichen, steht eine Firma oft vor enormen innerbetrieblichen Herausforderungen. Mit dem arbeitenden Kunden der Neuzeit, der sich in der Regel hoch motiviert ans Werk macht, ersparen sich viele Unternehmen diesen Aufwand – wenn auch nur in Bezug auf ganz bestimmte T tigkeiten, wie etwa den Zusammenbau von M beln. Dass sich dies letztlich nicht nur f r den Verbraucher bezahlt macht, liegt auf der Hand. Bleiben wir beim Beispiel IKEA. Von „Billy“, dem Kult-Regal des schwedischen M belhauses, wurden bis heute weltweit ber 50 Millionen St ck verkauft. Veranschlagt man f r den Aufbau des Klassikers pro Exemplar nur 15 Minuten Arbeitszeit, dann kommen insgesamt 12,5 Millionen Arbeitsstunden zusammen, die IKEA-Kunden alleine beim Billy-Aufbau erbracht haben. Den Mindestlohn von acht Euro f nfzig zugrunde gelegt, hat IKEA damit bis heute deutlich ber 100 Millionen Euro an Arbeitskosten auf seine Kunden abgew lzt. Wie mag die Rechnung da erst bei M belst cken ausfallen, die mit deutlich mehr Aufwand zusammenzubauen sind? Von kompletten K chen ganz zu schweigen … […] Fluggesellschaften sparen Personal durch „SelfCheck-In“ Die Zeiten, in denen man beim Check-In am Flughafen immer lange in der Schlange anstehen musste, sind weitgehend vorbei. Internet und Smartphone sorgen inzwischen daf r, dass Flugg ste schon einen Tag vor dem Abflug von zuhause aus einchecken k nnen. Die Bordkarte gibt es dann entweder direkt aufs Handy oder vor Ort am Check-In-Automaten zum Selbstausdrucken. Wolfgang Weber, Pressesprecher […] bei der Deutschen Lufthansa: „Die Zahl der Passagiere, die also das Self-CheckIn – Easy-Check-In kann man es auch nennen – nicht in Anspruch nehmen, die wird von Jahr zu Jahr kleiner. Im Grunde genommen: Wer es einmal gemacht hat, m chte es nicht mehr missen. Und vor allen Dingen: Es hat nat rlich den großen Vorteil, dass Sie bei uns beispielsweise dreiundzwanzig Stunden vor Abflug selbst einchecken k nnen. Das kann mitten in der Nacht sein, wann immer. Und Sie k nnen es zuhause machen und Sie k nnen dann gleichzeitig nat rlich Ihren Sitzplatz w hlen. 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 129 Textkompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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