Erzählungen im Realismus Realistische Romane und Erzählungen weisen üblicherweise eine einfache Sprache und klare Beschreibungen auf. Sie werden meist um eine oder zwei Hauptpersonen gebaut, deren Lebensverhältnisse oft nicht ideal sind bzw. die in Schwierigkeiten geraten. Die detailgetreue Darstellung von Äußerlichkeiten, Charakteren oder Situationen ist typisch für diese Epoche. A36 Lesen Sie den Auszug aus Fontanes Roman Effi Briest und markieren Sie jene Textteile, die detailreiche Beschreibungen enthalten. Theodor Fontane: Effi Briest Erstes Kapitel […] Auch die Front des Herrenhauses – eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe – gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Fliesengange saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinaufführten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten zusammenzusetzenden Altarteppichs galt; ungezählte Wollsträhnen und Seidendocken lagen auf einem großen, runden Tisch bunt durcheinander, dazwischen, noch vom Lunch her, ein paar Dessertteller und eine mit großen schönen Stachelbeeren gefüllte Majolikaschale. Rasch und sicher ging die Wollnadel der Damen hin und her, aber während die Mutter kein Auge von der Arbeit ließ, legte die Tochter, die den Rufnamen Effi führte, von Zeit zu Zeit die Nadel nieder und erhob sich, um unter allerlei kunstgerechten Beugungen und Streckungen den ganzen Kursus der Heil- und Zimmergymnastik durchzumachen. Es war ersichtlich, dass sie sich diesen absichtlich ein wenig ins Komische gezogenen Übungen mit ganz besonderer Liebe hingab, und wenn sie dann so dastand und, langsam die Arme hebend, die Handflächen hoch über dem Kopf zusammenlegte, so sah auch wohl die Mama von ihrer Handarbeit auf, aber immer nur flüchtig und verstohlen, weil sie nicht zeigen wollte, wie entzückend sie ihr eigenes Kind finde, zu welcher Regung mütterlichen Stolzes sie voll berechtigt war. Effi trug ein blau und weiß gestreiftes, halb kittelartiges Leinwandkleid, dem erst ein fest zusammengezogener, bronzefarbener Ledergürtel die Taille gab; der Hals war frei, und über Schulter und Nacken fiel ein breiter Matrosenkragen. In allem, was sie tat, paarten sich Übermut und Grazie, während ihre lachenden braunen Augen eine große, natürliche Klugheit und viel Lebenslust und Herzensgüte verrieten. Man nannte sie die „Kleine“, was sie sich nur gefallen lassen musste, weil die schöne, schlanke Mama noch um eine Handbreit höher war. Eben hatte sich Effi wieder erhoben, um abwechselnd nach links und rechts ihre turnerischen Drehungen zu machen, als die von ihrer Stickerei gerade wieder aufblickende Mama ihr zurief: „Effi, eigentlich hättest du doch wohl Kunstreiterin werden müssen. Immer am Trapez, immer Tochter der Luft. Ich glaube beinah, dass du so was möchtest.“ QUELLE: https://www.projekt-gutenberg.org/fontane/effi/effi.html; (abgerufen am 05.01.2022, an neue Rechtschreibung angepasst) A37 Diskutieren Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner folgende Fragen zum Text: Was fällt Ihnen in Bezug auf die Sprache des Textes auf? Halten Sie die Schilderung für „realistisch“? Welche Grundstimmung herrscht in der Erzählung? A38 Schreiben Sie den Einstieg mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner so um, dass die übermäßigen Beschreibungen wegfallen, der wesentliche Inhalt aber noch gegeben ist, und lesen Sie Ihre Ergebnisse im Klassenzimmer vor. Besprechen Sie, inwieweit die gekürzten Texte im Vergleich zum Originaltext anders wirken. B B 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 109 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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