sprachreif 2, Schülerbuch

Wenn Sie sich in Zukunft mit Gedichten oder Texten beschäftigen, um diese zu interpretieren, setzen Sie sich gleichzeitig auch intensiv mit verschiedenen Aspekten der Literaturtheorie auseinander. Sie analysieren die zu lesenden Texte hinsichtlich ihres erzählerischen Aufbaus, ihrer Darstellung von Zeit und Raum oder/und ihrer Sprache und ziehen dadurch Schlüsse über den gelesenen Text. Oft wird das Interpretieren von Texten missverstanden und angenommen, dass ein Auslegen von Texten in alle Richtungen möglich und sinnvoll ist. Dann löst Kritik an der eigenen Interpretation Unmut aus. Jochen Vogt tätigt in seinen Erläuterungen zur Literaturwissenschaft dazu ein spannendes Statement. Jochen Vogt: Einladung zur Literaturwissenschaft Die Vieldeutigkeit eines Textes ist natürlich nicht grenzenlos; das verhindert zumeist der buchstäbliche Sinn, der sensus litteralis der älteren Hermeneutik. […] Es gib also keine völlige „Anarchie“ des Verstehens, sondern einen Auslegungsspielraum, der vom Text und seinen Bedeutungsvarianten begrenzt ist (so wie die Freiheit des wählenden Bürgers vom Wahlzettel). Wo er überschritten wird, sollte man nicht mehr von Auslegung oder Interpretation im engeren Sinn, sondern vielleicht vom „Gebrauch“ oder von einer „Verarbeitung“ des Textes sprechen. […] Wir dürfen verallgemeinernd annehmen, dass Lesarten und Interpretationen abhängig sind von dem Wissensstand und Problembewusstsein, das wir bei der Lektüre mitbringen. Wir interpretieren einen Text immer im Rahmen und Horizont unserer eigenen Erfahrung. Und der ist sowohl individuell wie kollektiv geprägt, er umfass unser historisches Wissen, aber auch unsere ästhetische oder literarische Erfahrung. Man kann deshalb nicht nur, wie Gadamer, vom Interpretationshorizont sprechen, sondern auch und genauer von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Interpretationsgemeinschaft, wie das etwa Stanley Fish tut. QUELLE: Vogt, Jochen: Einladung zur Literaturwissenschaft. Wilhelm Fink Verlag, 2008. S. 62, 63. A17 Diskutieren Sie in einer Dreier- oder Vierergruppe über die Nachvollziehbarkeit von Vogts Aussagen zum Interpretationsspielraum. Klären Sie die Begriffe „Auslegungsspielraum“, „Interpretationshorizont“ und „Interpretationsgemeinschaft“. Sind Sie der Meinung, dass sich die Interpretation eines Textes in einem gewissen Handlungsspielraum bewegen sollte? Begründen Sie. Die Praxis der Literaturtheorie Die Analysekategorie „Raum“ bietet spannende Ansätze für das Analysieren der Inhalte eines Textes. Gründe für eine genaue Auseinandersetzung mit Raum und Bewegung in der Literatur finden sich in diesem Auszug. Raum und Bewegung in der Literatur: Zur Einführung Die Raumdarstellung bildet eine der grundlegenden Komponenten der (fiktionalen) Wirklichkeitserschließung. Raum ist in literarischen Texten nicht nur Ort der Handlung, sondern stets auch kulturelC 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 MERKENSWERT Für das Analysieren beziehungsweise Interpretieren eines Textes gibt es unterschiedliche Arten der Annäherung. Man kann sich beim Analysieren des Textes auf die Handlung, die Darstellung der Figuren, die Zeit, den Raum beziehungsweise Gegenstände und Bewegung oder/und die gewählte Sprache konzentrieren. All diese Kategorien verlangen unterschiedliche Herangehens- und Betrachtungsweisen desselben Werkes. In der Literaturtheorie finden sich hilfreiche Anleitungen für einen professionellen Umgang mit den Analysekategorien. 2 4 68 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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