sprachreif 2, Schülerbuch

A41 Lesen Sie nun eine der abschließenden Szenen aus Lessings Emilia Galotti. Besprechen Sie mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner, weshalb der Vater Emilia töten will und warum er es letztendlich auch tut. Gotthold Ephraim Lessing: Emilia Galotti (1772) Siebenter Auftritt Emilia. Odoardo. Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater? – Und nur Sie? – Und meine Mutter? nicht hier? – Und der Graf? nicht hier? – Und Sie so unruhig, mein Vater? Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter? – Emilia. Warum nicht, mein Vater? – Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein können und ruhig sein müssen: kömmt es nicht auf eines? Odoardo. Aber, was meinest du, daß der Fall ist? Emilia. Daß alles verloren ist – und daß wir wohl ruhig sein müssen, mein Vater. Odoardo. Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt? – Wer bist du? Ein Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich wohl vor dir schämen? – Aber laß doch hören. was nennest du, alles verloren? – Daß der Graf tot ist? Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las? – Wo ist meine Mutter? Wo ist sie hin, mein Vater? Odoardo. Voraus – wenn wir anders ihr nachkommen. Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er darum tot ist – darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns fliehen, mein Vater! Odoardo. Fliehen? – Was hätt’ es dann für Not? – Du bist, du bleibst in den Händen deines Räubers. Emilia. Ich bleibe in seinen Händen? Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich. Emilia. Ich allein in seinen Händen? – Nimmermehr, mein Vater. – Oder Sie sind nicht mein Vater. – Ich allein in seinen Händen? – Gut, lassen Sie mich nur, lassen Sie mich nur. – Ich will doch sehn, wer mich hält – wer mich zwingt – wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen kann. Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind. Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in den Schoß legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht dürfte? Odoardo. Ha! wenn du so denkest! – Laß dich umarmen, meine Tochter! – Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns. – Ha, wenn das deine Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Laß dich umarmen, meine Tochter! – Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen Untersuchung – o des höllischen Gaukelspieles! – reißt er dich aus unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi. Emilia. Reißt mich? bringt mich? – Will mich reißen, will mich bringen: will! will! – Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater! Odoardo. Ich ward auch so wütend, daß ich schon nach diesem Dolche griff (ihn herausziehend), um einem von beiden – beiden! – das Herz zu durchstoßen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater! – Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben. – Mir, mein Vater, mir geben Sie diesen Dolch. QUELLE: https://www.projekt-gutenberg.org/lessing/galotti/chap006.html; (abgerufen am 17.12.2021, in Originalschreibung) B 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 A42 Vergleichen Sie Sprache, Aufbau und Figuren des bürgerlichen Trauerspiels mit dem klassischen Drama, das Sie aus sprachreif 1 kennen. Beziehen Sie sich dabei auf das hier bearbeitete Stück Emilia Galotti und versuchen Sie, einige Unterschiede zu formulieren. A43 Vergleichen Sie die dargestellte Situation mit der Moderne. Welche moralischen und ethischen Wertvorstellungen herrschen heute vor? Finden Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner moralisch problematische Situationen und beschreiben Sie, wie Menschen heute darauf reagieren würden. B 144 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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