weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun. Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen selbst zu denken um sich verbreiten werden. Besonders ist hierbei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie danach selbst zwingt darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder deren Vorgänger ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen. […] QUELLE: https://www.projekt-gutenberg.org/kant/aufklae/aufkl001.html; (abgerufen am 10.01.2021, in Originalschreibung) 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 A35 Recherchieren Sie im Internet, was Sie über Immanuel Kant herausfinden können und erstellen Sie eine chronologische Liste mit wichtigen Ereignissen in Kants Leben. A36 Diskutieren Sie mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner, ob Kants Forderungen heute noch so ernst genommen werden würden, wie es damals der Fall war. Sind Sie der Meinung, dass Kant heute denselben Einfluss haben könnte? Warum? Das Theater in der Aufklärung Da sich die Aufklärer ja insbesondere gegen die Mächtigen, also den Adel, das Königshaus und die Kirche richten, wirkt sich dies auch auf die Literatur aus. Hier werden neue, teils für die Autorin oder den Autor riskante Aussagen getätigt und Forderungen gestellt. Eines der bekanntesten Werke der Aufklärung ist Gotthold Ephraim Lessings Nathan der Weise, in dem die Religionsfreiheit propagiert wird. Die Religionsfreiheit wird in Österreich vom Gesetz geschützt und gehört zu den Grundrechten der hier lebenden Personen. Ab dem Alter von 14 Jahren haben Sie die freie Wahl, ob Sie einem Religionsbekenntnis oder einer Religionsgesellschaft angehören möchten. Auch welches Bekenntnis dies ist, ist für Sie frei wählbar. Sie dürfen aufgrund Ihrer Glaubensrichtung nicht diskriminiert oder benachteiligt werden. A37 Lesen Sie den folgenden Auszug aus Lessings Stück. Hier begründet der Sultan Saladin, warum er Nathans Meinung hören möchte. Unterstreichen Sie seine Begründungen im Text. Beantworten Sie anschließend für sich selbst folgende Frage: Kann man den Begründungen Saladins Glauben schenken? Überprüfen Sie Ihre Meinung, indem Sie entweder in Ihrem Literaturbuch oder online eine Inhaltsangabe des Stückes lesen. Ó dj5h29 B Ó x3nd4u 141 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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