sprachreif - Deutsch Oberstufe, Schülerbuch

36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 kann es doch nicht angenehm sein. – Ja, Sie haben schon recht, und ich habe auch selbst daran ge- dacht. Aber was muss man nicht alles fürs Geld tun? Auf Grund dieser Äußerungen wurden in den Zeitungen lange Artikel über den bisher unbekann- ten Mann geschrieben, über seine Vergangenheit, seine Ansichten, seine Einstellung zu verschiede- nen akuten Problemen, seinen Charakter und sein Privatleben. Sein Bild war in jeder Zeitung, die man aufschlug. Es zeigte einen kräftigen jungen Mann, sonderlich bemerkenswert sah er nicht aus, aber verwegen und gesund, mit einem energischen, offe- nen Gesicht, ein typischer Vertreter der besten Ju- gendlichen von heute, willensstark und gesund. Es wurde in allen Cafés studiert, während man sich auf die bevorstehende Sensation vorbereitete. Man fand es nicht schlecht, ein sympathischer junger Mann, die Frauen fanden ihn wunderbar. Einige, die mehr Verstand hatten, zuckten mit den Schul- tern: geschickt gemacht, sagten sie. Über eines wa- ren sich alle gleichermaßen einig, wie phantastisch und eigenartig diese Idee war und dass so etwas nur in unserer merkwürdigen Zeit vorkommen könnte mit ihrer Hetze und Intensität und ihrer Fähigkeit, alles zu opfern. Und man war sich darüber einig, dass das Konsortium über alles zu loben sei, weil es keine Kosten scheute, als es darum ging, etwas Der- artiges zustande zu bringen und der Stadt tatsäch- lich Gelegenheit zu geben Zeuge eines solchen Schauspiels zu sein. Das Konsortium würde seine Ausgaben wohl sicherlich durch die teuren Ein- trittspreise decken können, aber das Risiko bestand in jedem Fall. Und endlich kam der große Tag. Die Umgebung der Kirche war brechend voll. Die Span- nung war unerhört. Alle hielten den Atem an, ange- spannt bis zum Äußersten in Erwartung dessen, was geschehen sollte. Und der Mann fiel hinunter, das war schnell getan. Die Menschen schauderten, und man stand auf und begab sich auf den Heim- weg. Irgendwie fühlte man sich enttäuscht. Es war schon großartig gewesen, aber dennoch. Er hatte sich ja doch nur zu Tode gestürzt. Es war schon teuer bezahlt für etwas, das vergleichsweise so ein- fach war. Er war bestimmt fürchterlich zugerichtet worden, aber was hatte man schon davon? Ein hoff- nungsvoller junger Mann auf diese Weise geopfert. Man ging unzufrieden nach Haus, die Damen spannten ihre Sonnenschirme auf. Nein, solche Scheußlichkeiten vorzuführen, sollte eigentlich ver- boten sein. Wer könnte Vergnügen daran finden? Wenn man richtig darüber nachdachte, war das Ganze ja doch empörend. QUELLE: Lagerkvist, Pär: Schlimme Geschichten. Aus dem Schwedischen von Erik Gloßmann. München: Franz Schneekluth Verlag 1992. 1 Konsortium: Arbeitsgemeinschaft Was ist Prosa? Prosa bezeichnet die Sprache, in der heute epische Werke üblicherweise verfasst sind . Sie ähnelt der Alltagssprache und folgt üblicherweise der korrekten Grammatik und Rechtschreibung. Allerdings kann die Prosa gerade von älteren Texten auf uns teilweise etwas befremdlich wirken, wenn sie voll mit altertümli- chen Begriffen und Formulierungen ist. Besonders die Heldenepen (ein Epos über einen Helden und seine Abenteuer) früherer Zeiten weisen solch eine Sprache auf, da sie meist nur mündlich vorgetragen wurden und häufig in sich reimenden Versen verfasst waren. Beispiele dafür wären die Ilias von Homer, das älteste vorliegende Erzählwerk mit der Geschichte um den Untergang Trojas, oder das Nibelungenlied mit dem Helden Siegfried. MERKENSWERT Das Nibelungenlied Das Nibelungenlied wurde auf Mittelhochdeutsch verfasst und stellt ein sogenanntes Heldenepos dar, also eine Erzählung rund um einen Helden, in diesem Fall Siegfried, den Drachentöter. Die schriftliche Fassung stammt aus dem 13. Jahrhundert, die Nibelungensage selbst dürfte jedoch weitaus älter sein. Die Erzählung ist in 39 Abenteuer untergliedert. Der Verfasser ist nicht bekannt. 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 85 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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