sprachreif - Deutsch Oberstufe, Schülerbuch

Peter Handke: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekann- ter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, dass er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, dass bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhüt- te, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mit- teilung aus und verließ das Baugelände. Auf der Straße hob er den Arm, aber das Auto, das an ihm vorbeifuhr, war – wenn Bloch den Arm auch gar nicht um ein Taxi gehoben hatte – kein Taxi gewe- sen. Schließlich hörte er vor sich ein Bremsge- räusch; Bloch drehte sich um: hinter ihm stand ein Taxi, der Taxifahrer schimpfte; Bloch drehte sich wieder um, stieg ein und ließ sich zum Naschmarkt fahren. […] Peter Handke gewann 2019 als zweiter österreichischer Schriftsteller nach Elfriede Jelinek im Jahr 2004 den Literaturnobelpreis. Unter anderem ist seine Erzählung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970) ein Paradebeispiel für den Schreibstil des Autors. Besonders wirkt dies auf die Leserinnen und Leser bei der Schilderung eines von Josef Bloch begangenen Mordes an einer zufälligen Bekannten: […] Aber dann störte ihn alles immer mehr. Er wollte ihr antworten, brach aber ab, weil er das, was er vorhatte zu sagen, als bekannt annahm. Sie wur- de unruhig, ging im Zimmer hin und her; sie such- te sich Tätigkeiten aus, lächelte ab und zu blöde. Einige Zeit verging mit dem Umdrehen und Wech- seln von Platten. Sie stand auf und legte sich ins Bett; er setzte sich dazu. Ob er heute zur Arbeit gehe?, fragte sie. Plötzlich würgte er sie. Er hatte gleich so fest zuge- drückt, dass sie gar nicht mehr dazugekommen war, es noch als Spaß aufzufassen. Draußen im Flur hörte Bloch Stimmen. Er hatte Todesangst. Er be- merkte, dass ihr eine Flüssigkeit aus der Nase rann. Sie brummte. Schließlich hörte er ein Geräusch wie ein Knacken. Es kam ihm vor, wie wenn ein Stein auf einem holprigen Feldweg plötzlich unten gegen das Auto schlägt. Speichel war auf den Linoleum- boden getropft. […] QUELLE: Handke, Peter: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970, S. 7 und S. 21. [Rechtschreibung adaptiert, Anm. d. Verf.] Valerie Fritsch: Winters Garten […] Gerne stand Anton im Sommer, wenn die To- maten auf den Fensterbänken in der Hitze dörrten, in der Kühle der Speisekammer, wo neben den Kä- selaiben und Holundersäften im obersten Fach auch die Gläser standen, in denen die Großmutter ihre Fehlgeburten aufbewahrte, die ihr im Laufe ih- res Lebens zu früh aus dem Bauch abgegangen wa- ren und von denen sie sich nicht trennen mochte. Die Enkel sahen sie sich nur selten an, um einander ihren Mut zu beweisen, aber Anton trieb sich oft alleine in der Speisekammer herum. Stunde um Stunde bat das Kind alle, die vorbeikamen, es hoch- zuheben, damit es sie betrachten konnte, und wa- ren die Erwachsenen zu beschäftigt, kletterte es heimlich und ohne fremde Hilfe die Schränke em- por. […] QUELLE: Fritsch, Valerie: Winters Garten. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch, 2016, S. 18. „Valerie Fritsch vermag es, über diesen Schmerz zu schreiben, ohne uns zu Voyeuren zu machen, vielmehr zu Staunenden, die plötzlich ein Stück mehr über die Welt begreifen.“ (Wiebke Porombka, DIE ZEIT online). A11 Schreiben Sie einer dieser literarischen Figuren einen Brief, in dem Sie sich erkundigen, wie es mit ihr bzw. ihm jetzt weitergeht. Bringen Sie Interpretationen (Deutungen und Bewertungen) des Gelesenen ebenso ein wie Wünsche oder Beschwerden an die Figur. 167 Textkompetenz 2 4 6 8 10 12 14 16 2 4 6 8 10 12 14 16 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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