sprachreif - Deutsch Oberstufe, Schülerbuch

A33 Überlegen Sie sich, was die Handlungen des Vaters Schwamm über die Beziehung zu seinem Sohn aussagen und versuchen Sie, Aussagen über die in der Geschichte charakterisierte Kleinfamilie zu treffen. Sprechen Sie mit Ihrer Partnerin bzw. Ihrem Partner über die Vater-Sohn-Beziehung in der Kurzgeschichte von S. Lenz. Achten Sie dabei auch auf das Entstehungsjahr des Werkes. A34 Lesen Sie den untenstehenden Text, achten Sie auf die folgenden Punkte und machen Sie Notizen dazu: Inhalt, Sprache, Erzählperspektive, Erzählform, vorkommende Charaktere, Aussage des Textes/ mögliche Interpretation. Franz Kafka: Brief an den Vater Liebster Vater, Du hast mich letzthin einmal gefragt, warum ich behaupte, ich hätte Furcht vor Dir. Ich wusste Dir, wie gewöhnlich, nichts zu antworten, zum Teil eben aus der Furcht, die ich vor Dir habe, zum Teil deshalb, weil zur Begründung dieser Furcht zu vie- le Einzelheiten gehören, als dass ich sie im Reden halbwegs zusammenhalten könnte. Und wenn ich hier versuche, Dir schriftlich zu antworten, so wird es doch nur sehr unvollständig sein, weil auch im Schreiben die Furcht und ihre Folgen mich Dir ge- genüber behindern und weil die Größe des Stoffs über mein Gedächtnis und meinen Verstand weit hinausgeht. Dir hat sich die Sache immer sehr einfach darge- stellt, wenigstens soweit Du vor mir und, ohne Aus- wahl, vor vielen andern davon gesprochen hast. Es schien Dir etwa so zu sein: Du hast Dein ganzes Leben lang schwer gearbeitet, alles für Deine Kin- der, vor allem für mich geopfert, ich habe infolge- dessen „in Saus und Braus“ gelebt, habe vollständi- ge Freiheit gehabt zu lernen was ich wollte, habe keinen Anlass zu Nahrungssorgen, also zu Sorgen überhaupt gehabt; Du hast dafür keine Dankbarkeit verlangt, Du kennst „die Dankbarkeit der Kinder“, aber doch wenigstens irgendein Entgegenkommen, Zeichen eines Mitgefühls; statt dessen habe ich mich seit jeher vor Dir verkrochen, in mein Zim- mer, zu Büchern, zu verrückten Freunden, zu über- spannten Ideen; offen gesprochen habe ich mit Dir niemals, in den Tempel bin ich nicht zu Dir gekom- men, in Franzensbad habe ich Dich nie besucht, auch sonst nie Familiensinn gehabt, um das Ge- schäft und Deine sonstigen Angelegenheiten habe ich mich nicht gekümmert, die Fabrik habe ich Dir aufgehalst und Dich dann verlassen, Ottla habe ich in ihrem Eigensinn unterstützt und während ich für Dich keinen Finger rühre […], tue ich für Freunde alles. Fasst Du Dein Urteil über mich zu- sammen, so ergibt sich, dass Du mir zwar etwas geradezu Unanständiges oder Böses nicht vorwirfst (mit Ausnahme vielleicht meiner letzten Heiratsab- sicht), aber Kälte, Fremdheit, Undankbarkeit. Und zwar wirfst Du es mir so vor, als wäre es meine Schuld, als hätte ich etwa mit einer Steuerdrehung das Ganze anders einrichten können, während Du nicht die geringste Schuld daran hast, es wäre denn die, dass Du zu gut zu mir gewesen bist. Diese Dei- ne übliche Darstellung halte ich nur so weit für richtig, dass auch ich glaube, Du seist gänzlich schuldlos an unserer Entfremdung. Aber ebenso gänzlich schuldlos bin auch ich. […] Irgendeine Ahnung dessen, was ich sagen will, hast Du merkwürdigerweise. So hast Du mir zum Bei- spiel vor kurzem gesagt: „ich habe Dich immer gern gehabt, wenn ich auch äußerlich nicht so zu Dir war wie andere Väter zu sein pflegen, eben des- halb weil ich mich nicht verstellen kann wie ande- re“. Nun habe ich, Vater, im Ganzen niemals an Deiner Güte mir gegenüber gezweifelt, aber diese Bemerkung halte ich für unrichtig. Du kannst Dich nicht verstellen, das ist richtig, aber nur aus diesem Grunde behaupten wollen, dass die andern Väter sich verstellen, ist entweder bloße, nicht weiter dis- kutierbare Rechthaberei oder aber […] der verhüll- te Ausdruck dafür, dass zwischen uns etwas nicht in Ordnung ist und dass Du es mitverursacht hast, aber ohne Schuld. Meinst Du das wirklich, dann sind wir einig. QUELLE: projekt-gutenberg.org/kafka/Vater/Vater.html; (abgerufen am 29.05.2020) (an neue RS angepasst). B 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 148 5 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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