Starke Seiten Deutsch 3, Schulbuch

Lies die folgende Geschichte. Sima traut sich Durch das dichte Schneegestöber konnte Sima kaum die Anzeigetafel der Straßenbahn erkennen. Fest kniff sie die Augen zusammen – endlich, nur noch eine Minute! Schon hörte sie das Rattern der Bim auf den Schienen. Massen von Leuten strömten aus dem Fahrzeug heraus und ebenso viele wieder hinein. Überrascht erblickte Sima einen freien Platz direkt am Fenster. „Seltsam“, wunderte sie sich, „wie kann es sein, dass dort niemand …“ Ihr Gedanke wurde jäh unterbrochen, als sie die strahlend weißen Nike Air Force entdeckte, die eine Teenagerin auf dem Sitz abgelegt hatte. Auch ein älterer Herr hatte den freien Platz bemerkt und blieb erwartungsvoll vor der Jugendlichen stehen. Doch diese musterte den Mann nur abwertend und bewegte sich keinen Zentimeter. „Entschuldigen Sie“, begann er zögernd, „dürfte ich mich bitte setzen?“ Mit einer ruhigen Geste deutete er auf die bunte Plakette, die auf dem Fenster klebte. Darauf waren eindeutig eine blinde und eine schwangere Person, ein Elternteil mit Kind und ein älterer Mensch zu sehen. Ohne jede Vorwarnung sprang die Teenagerin plötzlich auf: „Was willst du, Alter?! Ich leg’ meine Füße hin, wo ich will!“ Im gleichen Atemzug gab das Mädchen dem älteren Herrn einen Stoß, der ihn fast zu Boden stürzen ließ. Schockiert beobachtete Sima das Geschehen. Mit einem Kloß im Hals sah sie sich hastig in der Straßenbahn um – sicherlich könnten der große Mann weiter vorne oder die kräftige Frau neben ihr dem Mann helfen? Doch niemand reagierte. Als die Bim in der Station hielt, stiegen der große Mann und die starke Frau aus. Sima bekam es mit der Angst zu tun. „Aber ich wollte doch nur …“, begann der alte Mann. „Halt den Mund, das interessiert niemanden!“, schnauzte das Mädchen zurück. „Doch!“ Eine leise Stimme drang durch das Schweigen der Fahrgäste. Erstaunt stellte Sima fest, dass es ihre eigene war. „Was ist?!“, fauchte die Teenagerin. „Mich interessiert das“, meinte Sima nun lauter. „So geht man nicht mit anderen Menschen um, das ist nicht richtig!“ Gerade als die Jugendliche zu einer weiteren Wutrede ansetzen wollte, öffneten sich die Straßenbahntüren wieder und die starke Frau stieg mit einer Mitarbeiterin der Wiener Linien ein. „Bitte mitkommen!“, forderte diese das ungestüme Mädchen auf und begleitete es durch die Türen hinaus. Schlagartig herrschte wieder Ruhe in der Straßenbahn. Für die Fahrgäste ging die Reise weiter, als wäre nichts passiert. Nur nicht für Sima. Gemeinsam mit dem alten Herrn nahm sie auf den nun frei gewordenen Sitzen Platz und lächelte stolz vor sich hin. Sima hatte sich getraut und Mut bewiesen. Katharina Pröstler Beantworte für dich alle Fragen wie in Aufgabe 28. Verfasse nun zu dieser Geschichte eine Inhaltsangabe. 30 Tipp In Wien nennt man die Straßenbahn auch Bim. Tipp Eine Geste ist eine Handbewegung, die hilft, den Inhalt zu verstehen. Tipp Den Mut, im Alltag bei solchen Situationen helfend einzugreifen, nennt man Zivilcourage. Davon handelt diese Geschichte. Tipp Die Wiener Linien sind die Verkehrsbetriebe Wiens, die für den öffentlichen Verkehr wie Bus, Straßenbahn und U-Bahn zuständig sind. 1 5 10 15 20 25 30 35 31 32 77 Schreiben Arbeitsheft 45 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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