Quer durch Vorarlberg, Leseheft
6 Sagenhaftes In früherer Zeit kam die Pest 1 auch immer wieder nach Vorarlberg. Eine Sage berichtet, dass sie einmal sogar zwei Gespenster als Vorboten ins Land geschickt hat. Sie kamen aus Liechtenstein und gingen der Ill zu. Das eine Gespenst kam mit einem Besen in der Hand daher, das andere mit einer Schaufel. Am Ufer der Ill sagte das Gespenst mit dem Besen zu demmit der Schaufel: „Am besten, wir trennen uns hier. Du schaufelst dich durch das Tal dort, und ich kehre mich durch das Tal da.“ Und das taten sie. Als die beiden Täler gekehrt und geschaufelt waren, kam die Pest und hatte freie Bahn. Im Jahr 1628 wütete die Pest in Dornbirn. Damals kam ein Soldat aus Hatlerdorf 2 , der im Dreißigjährigen Krieg gedient hatte, in seine Heimat zurück und begegnete einem Pestwagen. Der Pestwagen war ein Karren, auf dem die Toten, die überall in den Straßen lagen, von Pestknechten weggefahren wurden, um dann in großenGruben, den Pestgruben, ihre heilige Ruhe zu finden. Für jeden Einzelnen ein Grab zu graben war in der Pestzeit unmöglich, weil es zu viele Tote gab. Der Soldat begegnete also einem solchen Pestwagen. Er wollte ihn schon vorüberfah ren lassen, aber da war ihm, als flüstere eine Stimme: „Rette mich!“ Also lief er zu den Knechten hin, die den Karren zogen, und fragte sie, wo sie denn ihre Toten aufgesam melt hätten. Von der Pest und der geretteten Braut „Die sind alle aus Hatlerdorf“, sagte der eine Knecht. Der Soldat aber hatte eine Braut, die war aus Hatlerdorf und er bat die Knechte, stehen zu bleiben, damit er sehen könnte, ob seine Braut vielleicht unter den Toten lag. Die Pestknechte stellten den Karren nieder und halfen dem jungen Soldaten, seine Braut unter den Toten zu suchen, und sie fanden sie auch. „Gebt sie mir“, sagte der junge Bräutigam, „ich will sie selber begraben!“ Die Pestknechte legten ihm die Braut in die Arme und fuhren weiter. Der Bräutigam aber ging mit der Braut in seinen Armen die Gasse entlang und ging und ging und wusste nicht, wohin. Da kam ein alter Großvater des Weges, der blieb vor dem jungen Mann stehen und sagte: „Dumusst sie mit Stroh abreiben. Das kann helfen, wenn noch ein Funken Leben in ihr ist.“ Dann ging der Großvater weiter. Der Bräutigam trug seine Liebste nachhause und holte Stroh und rieb sie damit ab und brachte sie ins Leben zurück. Die Braut wurde wieder ganz gesund, und die beiden haben geheiratet und wurden glücklich miteinander. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 1 Pest: hoch ansteckende Infektionskrankheit/Seuche, die früher tödlich war. 2 Hatlerdorf: ist heute kein eigenständiges Dorf mehr, sondern ein Stadtteil Dornbirns. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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