Quer durch Oberösterreich, Leseheft

8 Sagenhaftes Vor undenklich langer Zeit, als es noch Rie­ sen und Däumlinge gab, wohnte im Süden des Hallstätter Sees der Riese Krippen mit seiner Tochter. Der Riese besaß viel Land und reiche Güter. Seine Tochter aber war blind. Er hätte alle seine Reichtümer dafür gegeben, hätte einer sein Kind sehend machen können. Einmal jagte der Riese auf den Hängen des Krippensteins. Als er mit seinem Pfeil nach einer Gämse zielte, begann plötzlich der Berg zu zittern und vor dem Riesen tauchte der Berggeist vom Krippenstein auf. Er trug einen langen, weiten Mantel und, wie einen zweiten Mantel darübergebreitet, silbernes Haupthaar. „Riese Krippen“, sprach der Geist, „lass die Gämsen und alles andere Wild in meinem Reich leben und ich werde dir sagen, wie deine Tochter ihr Augenlicht wiedererhalten kann.“ Der Riese ließ Pfeil und Bogen sinken und sagte: „Ich werde nie mehr auf demKrippen­ stein jagen, wenn du mir sagst, wie mein Kind wieder sehend wird.“ „Was du dafür tun musst, ist leicht und schwer“, antwortete der Berggeist. „Geh beim nächsten Vollmond mit deiner Tochter ganz hinauf auf den Krippenstein. Hier hast du eine Rolle von Pergament. Die musst du, wenn ihr oben angelangt seid, über deine Schultern breiten, und sie wird zu einem Der Krippenstein kostbaren, edelsteinbestickten Mantel werden. Den legst du auf die Erde und setzt deine Tochter darauf. Nun musst du warten, bis der Mond genau über dem Berg steht. Was immer dann geschieht, du darfst, wenn’s gelingen soll, in dieser Vollmond­ stunde kein einziges böses Wort sagen und keinen einzigen bösen Gedanken im Kopf haben. Dann wird alles gut.“ Der Berggeist reichte dem Riesen die pergamentene Rolle und verschwand. Beim nächsten Vollmond nahm der Riese Krippen seine blinde Tochter an der Hand und stieg mit ihr auf den Krippenstein hin­ auf. Dort tat er, was der Berggeist verlangt hatte, und die Pergamentrolle wurde auf seinen Schultern zu einem Mantel, der von Edelsteinen funkelte und blitzte. Ihr Glanz flimmerte bis ins Tal hinunter. Der Riese setzte seine blinde Tochter auf den Mantel und wartete, bis der Mond genau über dem Berg stand. Fast war es schon so weit, und alles wäre gut geworden. Aber das Geflimmer der edlen Steine hat leider den Ritter Däumling angelockt. Der wollte das Mädchenwegstoßen undmit demkostbaren Mantel fliehen. Der Riese sah den räuberischen Ritter sich anschleichen und fürchtete, derMondzauber könnte ein Ende haben, ehe er recht begon­ nen hätte. Er hob einen Stein auf, warf ihn nach dem Ritter, um ihn zu verscheuchen, und dazu schrie er laut: 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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