Quer durch Niederösterreich, Leseheft
8 Sagenhaftes Vor rund 900 Jahren hat man in einem Gasthaus in dem kleinen Dorf Erdberg bei Wien den König Richard Löwenherz von England gefangen. Er stand in der Küche und drehte den Bra tenspieß und sah gar nicht wie ein König aus. Er hatte sich als armer Pilger verkleidet, um nicht seinem Feind, dem Herzog Leopold von Österreich, in die Hände zu fallen. Sie hatten beide noch kürzlich im Morgenland 1 gegen die Sarazenen 2 gekämpft und zusammen die Festung Akkon 3 erobert. Leopold war der erste Fürst gewesen, der seine Fahne, die Fahne Österreichs, auf der Festung aufsteckte. Das wollte Löwenherz nicht dulden. Er riss Leopolds Fahne von der Mauer und pflanzte seine eigene auf. Diese Beleidigung konnte ihm Leopold nicht verzeihen. Er schwor Rache und ritt bald wieder heim nach Österreich. Der König von England aber blieb mit anderen Fürsten und Rittern noch eine Weile im Heiligen Land, um den Sieg über die Muslime 4 gründlich zu feiern. Dieser Kreuzzug 5 , man nennt ihn den dritten von sieben, brachte den europäischen Siegern reiche Beute. Aber es war auch ein grausamer Krieg mit vielen blutigen Opfern gewesen und hatte Hungersnot und Seuchen im Gefolge. Viele Ritter und Soldaten, die den Kampf überlebt hatten, starben an Krankheiten. König Löwenherz Nun entschloss sich Richard Löwenherz, mit den Seinen nach England heimzukehren, und bestieg ein Schiff. Was er nicht voraus gesehen hatte, war ein schrecklicher Sturm, der sein Schiff an die adriatische Küste schleuderte. Der König musste nun auf dem Landweg heimkehren, und dieser Heimweg führte ein Stück über Feindesgebiet, nämlich über das Gebiet, in dem Leopold von Österreich Herr war. Richard Löwenherz verkleidete sich also, um nicht erkannt zu werden, als Pilger und zog in armseliger Pilgerkleidung und mit Kapuze, die sein Gesicht beschattete, gen Wien. Er kehrte, wie die Sage berichtet, in Erdberg in einem kleinen Gasthof ein. Richard reiste allein, um nicht mit größerem Gefolge aufzufallen. Der König, der gewohnt war, Diener zu haben, die seinen Geldbeutel trugen, hatte kein Geld bei sich. So bat er murmelnd den Wirt, er möge ihn als Küchenjungen den Bratenspieß drehen lassen und ihmdafür ein Stück Braten schenken. Der Wirt erkannte den verkleideten König nicht, er hatte ihn ja nie gesehen. Aber in seinem Gasthaus kehrten auch etliche wilde Burschen ein, die imKrieg gewesenwaren, und einer erkannte in dem Pilger, der den Bratenspieß drehte, den König Richard Löwenherz von England. Der König wurde verhaftet und in den Gewahrsam seines beleidigten Feindes 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 5 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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