Quer durch Wien, Leseheft

22 Märchenhaftes Der wunderbare Geiger Es war einmal ein Handwerksbursch, der durch die Welt zog und Arbeit suchte. Als schon längere Zeit niemand seine Hand­ werksdienste brauchte, wurde sein Brot in der Tasche immer weniger und er musste sehr sparsam damit umgehen. Bald kam der Tag, an dem er das allerletzte Stück Brot unter einer schattigen Tanne verspeisen wollte. Da traf er einen altenMann, dermüde und geschwächt aussah und den Burschen sogleich umetwas zu essen bat. Der Bursche, der selbst nur mehr wenig hatte, teilte sein Brot und hielt dem Alten auch noch das größere Stück hin: „Setz dich zu mir und iss mit! Es wird schon für uns beide reichen.“ Der alteMann freute sich darüber sehr. Er aß das Brot und kam wieder zu Kräften. Eine Weile saßen die beiden noch nebeneinander, dann stand der Alte auf und sagte: „Mit dei­ nem Stück Brot hast du mir meinen größten Wunsch erfüllt. Jetzt will ich auch dir deinen größten Wunsch erfüllen.“ Der Bursch war verwundert und wusste zunächst nicht, was er sagen sollte. Doch der alte Mann bestand darauf, dass er ihm diesen mitteilte. Also sagte er schließlich: „Ich hätte gern eine Geige, die von selbst spielt und alleMenschen durch ihr Spiel zum Tanzen bringt.“ „Dann sei dir deinWunsch erfüllt“, sagte der alte Mann und zog eine Geige hervor, die er demBurschen sogleich reichte. Dieser traute seinen Augen kaum und nahm die Geige 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 freudig entgegen. Der alte Mann zog weiter und wurde nie wieder gesehen. Der Handwerksburschmachte sich wieder auf die Suche nach Arbeit und kam bald in ein Dorf, wo er in einem Gasthaus um Speis und Trank bat. „Zwar kann ich nichts bezahlen, aber durch das Spiel auf der Geige werde ich viele Gäste an­ locken“, versprach er der Wirtin. Diese ließ ihn am kleinsten Tisch Platz nehmen und brachte ihm Brot, Wasser und ein kleines Stück Fleisch. Der Bursch bedankte sich und als er sich gestärkt hatte, holte er seine Geige hervor und ließ sie spielen. Und tatsächlich: Immer mehr Leute kamen in das Gasthaus und tanzten zur Musik der Geige. Die Wirtin hatte alle Hände voll zu tun und brachte tanzend Speis und Trank in den Gastraum. Sie vergaß auch auf den jungen Geiger nicht und brachte ihm ein herrliches Mahl und den bestenWein. Der Bursch zog weiter und bald sprachen alle von dem wunderbaren Geiger und wo er auch hinkam, warfen die Leute Geldstücke in seinen Hut, noch bevor er zu spielen begann. Einmal kam er auch nach Wien und stellte sich in der Mitte eines großen Platzes, wo Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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