Gollenz Physik 4, Schulbuch

119 Dennoch kann es zu schweren Reaktorunfällen kommen. Am 1. März 2011 erschütterte ein extrem schweres Erdbeben die Ostküste Japans. Ein dadurch ausgelöster Tsunami (Riesenwelle in Küstengebieten) mit durchschnittlich 10m hohen Wellen raste über die küstennahen Landstriche hinweg und verursachte im Kernkraftwerk Fukushima schwerste Schäden. Durch die große Menge freigesetzter radioaktiver Stoffe wurden Luft, Wasser und Böden (z. B. landwirtschaftliche Flächen) so stark radioaktiv verseucht, dass radioaktive Isotope auch in Lebensmittel und in das Trinkwasser gelangten. Neben den Leistungsreaktoren, die elektrische Energie bereitstellen, gibt es noch Forschungsreaktoren (Abb. 66.3). Ihr Reaktorkern und ihre Leistung sind viel kleiner. Sie dienen auch zur Herstellung radioaktiver Isotope. In Österreich steht seit 1962 der Forschungsreaktor TRIGA-Mark-II-Reaktor des Atominstituts der Technischen Universität im Wiener Prater. Die Kernverschmelzung Noch größer als bei der Kernspaltung ist die Energiefreisetzung bei der Kernverschmelzung (fusion process) von zwei leichteren Atomkernen zu einem schwereren Atomkern. Diese Reaktion heißt Kernfusion (Abb. 66.4). So wird bei der Bildung von 1 kg Helium durch Verschmelzung von Wasserstoffatomen eine Energie von 165 Millionen kWh frei. Vergleiche diesen Wert mit dem Bedarf an elektrischer Energie in Österreich, der 2018 knapp 72 Milliarden kWh betrug! Da das Rohmaterial für diese Reaktion, Wasserstoff bzw. Deuterium, im Wasser der Weltmeere praktisch unbegrenzt vorhanden ist, könnten Fusionsreaktoren die Energieprobleme der Menschheit lösen. Um aber eine solche Kernverschmelzung gegen die elektrische Abstoßung der positiv geladenen Atomkerne in Gang zu setzen, sind sehr hohe Temperaturen von ca. 100 Millionen Grad Celsius notwendig. Da kein Material dieser Temperatur standhält, müssen die Reaktionsstoffe durch Magnetfelder eingeschlossen werden. Dazu braucht man sehr starke Elektromagnete mit sogenannten supraleitenden Spulen. Ihre Windungen müssen fast auf den absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. An der Entwicklung von Fusionsreaktoren wird seit vielen Jahren intensiv gearbeitet (Abb. 66.5). Ein Beispiel für seit Jahrmillionen in der Natur ablaufende Fusionsprozesse liefern die Sonne und die Fixsterne. In ihrem Inneren werden bei hohen Temperaturen und unter großem Druck zuerst Wasserstoffatome zu Helium verschmolzen, eine Reihe weiterer Fusionsvorgänge erzeugt immer schwerere Atomkerne. Alle Atome, aus denen die Erde und wir selbst bestehen, sind auf diese Weise entstanden. In der Sonne werden pro Sekunde ca. 564 Millionen Tonnen Wasserstoff in ca. 560 Millionen Tonnen Helium umgewandelt. Die Differenz von ca. 4 Millionen Tonnen pro Sekunde, der sogenannte Massendefekt bei der Kernfusion, wird in Energie umgewandelt und von der Sonne als Strahlungsenergie abgegeben. In ca. 4–5 Milliarden Jahren wird die Kernfusion in der Sonne durch den fortwährenden Massendefekt zum Erliegen kommen. Ein Beispiel für eine künstlich in Gang gesetzte, aber nicht kontrollierte Kernfusion ist die Wasserstoffbombe (hydrogen bomb). 66.5 Schnittbild von „ITER“ (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Südfrankreich, der derzeit größte und modernste Experimentalfusionsreaktor. Beachte den Menschen rechts unten! 66.4 Schema einer Kernverschmelzung Deuterium H 2 1 Neutron Tritium H 3 1 -Teilchen Der Deuteriumkern und der Tritiumkern treffen mit großer Geschwindigkeit aufeinander, die Kern verschmelzen. Es entstehen ein Heliumkern und ein Neutron, das rund 80% der frei wer- denden Energie enthält. Im Kernreaktor erfolgt die Kernspaltung in Form einer gesteuerten Kettenreaktion. Die dabei freiwerdende Wärmeenergie nutzt man zur Bereitstellung elektrischer Energie. Bei der Kernfusion werden zwei leichte Atomkerne zu einem schwereren verschmolzen. Dabei wird große Energie freigesetzt. Die Energie der Sonne und der Sterne stammt aus der Kernverschmelzung von Wasserstoff zu Helium. Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=