Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
94 Aufklärung (1720–1770) Christoph Martin Wieland: „Sechs Fragen zur Aufklärung“ (1789) „Was ist Aufklärung?“ […] Das Licht […], wovon hier die Rede ist, ist die Erkenntnis des Wahren und Falschen, des Guten und Bösen. Hoffentlich wird jedermann zugeben, dass es ohne diese Erkenntnis ebenso unmöglich ist, die Geschäfte des Geistes recht zu treiben, als es ohne materielles Licht möglich ist, materielle Geschäfte recht zu tun. […] Aber es gibt Leute, die in ihrem Werke gestört werden, sobald Licht kommt; es gibt Leute, die ihr Werk unmöglich anders als im Finstern, oder wenigstens in der Dämmerung, treiben können; – z. B., wer uns Schwarz für Weiß geben oder mit falscher Münze bezahlen oder Geister erscheinen lassen will; oder auch (was an sich etwas sehr Unschuldiges ist), wer gerne Grillen fängt, Luft- schlösser baut und Reisen ins Schlaraffenland […] macht, – der kann das natürlicherweise bei hellem Sonnenschein nicht so gut bewerkstelligen als bei Nacht oder Mondschein oder einem von ihm selbst zweckmäßig veranstalteten Helldunkel. Alle diese wackern Leute sind also natürliche Gegner der Aufklärung […]. An welchen Folgen erkennt man die Wahrheit der Aufklärung? […] Wenn es im Ganzen heller wird; wenn die Anzahl der denken- den, forschenden, lichtbegierigen Leute überhaupt […] immer größer, die Masse der Vorurteile und Wahnbegriffe zusehends immer kleiner wird; wenn die Scham vor Unwissenheit und Unvernunft, die Begierde nach nützlichen […] Kenntnissen und besonders, wenn der Respekt vor der menschlichen Natur und ihren Rechten unter allen Ständen unvermerkt zunimmt […]. Georg Christoph Lichtenberg: Aus dem „Sudelbuch L“ (1796–99) Man spricht viel von Aufklärung und wünscht mehr Licht. Mein Gott, was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen? ■■ Geben Sie anhand der drei Texte Ihre Definition des Begriffs „Aufklärung“. ■■ Untersuchen Sie, welche Texte die Schwierig keit unterstreichen, die Menschen für Aufklärung zu gewinnen? ■■ Erläutern Sie, welche Gründe dabei ange führt werden und an welchen Stellen betont wird, dass es viele Gegner der Aufklärung gibt. Analysieren Sie, wie diese Gegner charakterisiert werden. Die erste Wurzel der Aufklärung: der Rationalismus Die Ursprünge aufklärerischen Denkens liegen in Frankreich und England. René Descartes (1596–1650) suchte eine sichere Basis für Wahrheit und Erkennen. Deshalb forderte er auf, zunächst an allem grundsätz lich zu zweifeln. Nur an einem, so Descartes, kann man nicht zweifeln: nämlich, dass ich es bin, der mit der Kraft meines Verstandes, der Ratio, an allem zweifeln kann: „Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich.“ Der Verstand befähigt den Menschen auch, die Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und damit die Natur zu beherrschen. Die zweite Wurzel der Aufklärung: der Empirismus John Locke (1632–1704) begründet den Empirismus. Unsere Erkenntnisse, die stets bewiesen, nachgeprüft, kritisiert werden müssen, entstehen aus den Beobach tungen, die wir mit unseren Sinnen machen. Die Erfah rung (Empirie) garantiert unser Wissen. Die dritte Wurzel der Aufklärung: die Befreiung von den Trugbildern Locke stützt sich auf die Ideen von Francis Bacon (1561–1626), der auf dem Weg zur Erkenntnis viele „Trugbilder“ sieht, die es zu vermeiden gilt. Heute wür den wir diesen Begriff wohl mit „Vorurteil“ wiederge ben. Bacon unterscheidet vier Arten von täuschenden „Trugbildern“. Manche Vorurteile hängen mit der Natur des Menschen zusammen, sie sind ihm angeboren. Der Mensch neigt nach Bacon dazu, alles unter seinem Blickwinkel zu „vermenschlichen“. Die zweite Art von Vorurteilen liegt in der individuellen Persönlichkeit je des Einzelnen, je nachdem, wie er erzogen worden ist, 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 2 4 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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