Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

9 Das Fundament Am Anfang stehen Schlachtgesänge und Runeninschriften Die erste Erwähnung germanischer Dichtung Der römische Geschichtsschreiber Tacitus (um 55 bis 116 n. Chr.) berichtet als Erster von einer Art Dichtung im heutigen deutschsprachigen Raum. Es handelt sich dabei, so interpretiert Tacitus, um Lieder zu Ehren des „Herkules“: Sie singen von ihm als dem ersten aller Helden, wenn sie in den Kampf ziehen. Außerdem haben sie noch eine Art von Liedern, durch deren Vortrag […] sie sich Mut machen und aus deren bloßem Klang sie auf den Ausgang der bevorstehenden Schlacht schließen; sie verbreiten nämlich Schrecken oder sind selbst in Furcht, je nachdem es durch ihre Reihen tönt […]. Es kommt ihnen vor allem auf die Rauheit des Tones und ein dumpfes Dröhnen an: Sie halten die Schilde vor den Mund; so prallt die Stimme zurück und schwillt zu größerer Wucht und Fülle an. Freilich geht es Tacitus vor allem darum, die Unter­ schiede zwischen Germanen und Römern zugunsten seiner eigenen Kultur zu betonen. Dennoch ist es Tat­ sache, dass die Germanen, als griechische und römi­ sche Dichter schon über Jahrhunderte literarische Wer­ ke schrieben, noch nicht über die Schrift verfügten und ihre Lieder mündlich weitergaben. Erst im 3. Jahr­ hundert n. Chr. entsteht die Runenschrift. Eingeritzt wurden die Runen meist in Holz, Stein oder Horn. Aber auch sie sind keine ursprünglichen germanischen Schriftzeichen. Sie stammen aus der lateinischen Schrift und sind erst nach dem Kontakt der Germanen mit den Römern entstanden. Die Runen wurden je­ doch nicht als Kommunikationsmittel benutzt, son­ dern für magische Zwecke. Ihr ursprünglicher „Ge­ heimnischarakter“ wird deutlich an dem zum selben Wortstamm gehörenden Verb „raunen“: Raunt man je­ mandem etwas zu, so will man eben Öffentlichkeit vermeiden. Der schwierige Weg zur Schriftkultur In den Jahrhunderten nach Tacitus erreicht die Völker­ wanderung ihren Höhepunkt, vor allem germanische Stämme zerstreuten sich über ganz Europa. Diese Pe­ riode war für die Entwicklung einer germanischen Schriftkultur nicht günstig. Die Entwicklung von Schrift braucht politische Stabilität und eine zentrale Macht, in deren Auftrag geschrieben wird. Auf ständigen Wanderungen ist das Schreiben und vor allem Bewah­ ren von Texten äußerst schwierig. Erst unter Karl dem Großen, der sich 771 die Alleinherrschaft über das Frankenreich, die „Keimzelle“ Frankreichs und Deutsch­ lands, sichern konnte, entstanden diese Voraussetzun­ gen. 2 4 6 8 10 12 770  Erste schriftliche Zeugnisse in deutscher Sprache. 910/1060  Fast zeitgleich mit dem Ende der Herrschaft der Karolinger in Deutschland (911) verstummt die deutschsprachige Literatur für eineinhalb Jahrhun- derte. 1170  Der sprachliche Wandel vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen ist vollzogen, neue Themen erscheinen, religiöse Stoffe werden zurückgedrängt, die Welt der Ritter und der Höfe wird zum Mittel- punkt der Literatur. Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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