Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

84 Barock (1600–1720) Text 1: Auszüge aus dem ersten Buch Simplex wird, nachdem sein Elternhaus geplündert worden ist, von einem Einsiedler gefunden, der sich übrigens am Ende des Romans als sein Vater erweist. [Aus dem ersten Buch, Kapitel 8] Einsiedel: Wie heißest du? Simplicius: Ich heiße Bub. Einsiedel: Ich sehe wohl, dass du kein Mägdlein bist, wie hat dir aber dein Vater und Mutter gerufen? Simplicius: Ich habe keinen Vater oder Mutter gehabt. Einsiedel: Wer hat dir denn das Hemd geben? Simplicius: Ei mein Meuder. Einsiedel: Wie heißet’ dich denn dein Meuder 1 ? Simplicius: Sie hat mich Bub geheißen, auch Schelm, ungeschickter Tölpel und Galgenvogel. Einsiedel: Wer ist denn deiner Mutter Mann gewesen? Simplicius: Niemand. Einsiedel: Bei wem hat denn dein Meuder des Nachts geschlafen? Simplicius: Bei meinem Knan 2 . Einsiedel: Wie hat dich denn dein Knan geheißen? Simplicius: Er hat mich auch Bub genennet. Einsiedel: Wie hieß aber dein Knan? Simplicius: Er heißt Knan. Einsiedel: Wie hat ihm aber dein Meuder gerufen? Simplicius: Knan, und auch Meister. Einsiedel: Hat sie ihn niemals anders genennet? Simplicius: Ja, sie hat. Einsiedel: Wie denn? Simplicius: Rülp, grober Bengel, volle Sau, und noch wohl anders, wenn sie haderte. Einsiedel: Du bist wohl ein unwissender Tropf, dass du weder deiner Eltern noch deinen eignen Namen nicht weißt! Simplicius: Eia, weißt dus doch auch nicht. Einsiedel: Kannst du auch beten? Simplicius: Nein, unser Ann und mein Meuder haben das Bett gemacht. Einsiedel: Ich frage nicht hiernach, sondern ob du das Vaterunser kannst? Simplicius: Ja ich. Einsiedel: Nun so sprichs denn. Simplicius: Unser lieber Vater, der du bist Himmel, heiliget werde Nam, zu kommes d’ Reich, dein Will gescheh Himmel auf Erden, gib uns Schuld, als wir unsern Schuldigern geba, führ uns nicht in kein bös Versucha, sondern erlös uns von dem Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit, Ama. Einsiedel: Bist du nie in die Kirchen gangen? Simplicius: Ja, ich kann wacker steigen, und hab einen ganzen Busen voll Kirschen gebrochen. […] Einsiedel: Ach dass Gott walte, weißt du nichts von unserm Herr Gott? Simplicius: Ja, er ist daheim an unserer Stubentür gestanden […], mein Meuder hat ihn von der Kürche mitgebracht, und hingekleibt. […] Einsiedel: Ach liebes Kind, […] wüsste ich nur, wo deine Eltern wohneten, so wollte ich dich gerne wieder hinbringen und sie zugleich lehren, wie sie Kinder erziehen sollten. Simplicius: Ich weiß nicht, wo ich hin soll – unser Haus ist verbrennet, und mein Meuder hinweg­ gelaufen und wieder kommen mit dem Ursele, und mein Knan auch, und unser Magd ist krank gewesen und ist im Stall gelegen. Einsiedel: Wer hat denn das Haus verbrennt? Simplicius: Ha, es sind so eiserne Männer kommen, die sind so auf Dingern gesessen, groß wie Ochsen, haben aber keine Hörner, dieselben Männer haben Schafe und Kühe und Säu gesto- chen, und da bin ich auch weggelaufen, und da ist danach das Haus verbrennt gewesen. Einsiedel: Wo war denn dein Knan? Simplicius: Ha, die eisernen Männer haben ihn angebunden, da hat ihm unser alte Geiß die Füß geleckt, da hat mein Knan lachen müssen, und hat denselben eisernen Mannen viel Weißpfennig geben, große und kleine, auch hübsche gelbe, und sonst schöne glitzerichte Dinger, und hübsche Schnür voll weißer Kügelein. […] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 1 mundartlich für Mutter 2 mundartlicher (hessischer) Ausdruck für Vater 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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