Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

71 lesungen über diese Kunst hielt. Später schweifte er an vielen Orten umher und sprach von geheimen Dingen. Da er zu Venedig Aufsehen erregen wollte, kündigte er an, er werde in den Himmel fliegen. Der Teufel hob ihn also in die Höhe, ließ ihn aber darauf zur Erde fal- len, so dass er von diesem Falle fast den Geist aufgege- ben hätte. Vor wenigen Jahren saß dieser Johannes Faustus an seinem letzten Tage sehr betrübt in einem Dorfe des Herzogtums Württemberg. Der Wirt fragt ihn, warum er so betrübt sei wider seine Sitte und Ge- wohnheit; denn er war sonst ein schändlicher Schelm, der ein liederliches Leben führte […]. Darauf erwider- te er demWirt in jenem Dorfe: „Erschrick diese Nacht nicht!“ In der Mitternacht ward das Haus erschüttert. Da Faustus amMorgen nicht aufgestanden und bereits der Mittag gekommen war, ging der Wirt in sein Zim- mer und fand ihn neben dem Bette liegen mit umge- drehtem Gesichte, so hatte ihn der Teufel getötet. ■■ Fassen Sie die negativen Zuschreibungen und Vorwürfe der Zeitgenossen an Faust zusammen. ■■ Erläutern Sie deren Absicht. Fausts Eintritt in die Literatur 1556  In Erfurt erste Aufzeichnung von Geschichten, Anekdoten und Schwänken um seine Person. 1587  Die „Historia von D. Johann Fausten, dem weitbe­ schreyten Zauberer und Schwarzkünstler“ erscheint bei dem Verleger und Drucker Johann Spies in Frankfurt. Die Tendenz des Buches: Faust ist böse Faust wird als Verkörperung des Menschen gesehen, der naturwissenschaftlichem Denken vertraut, wel­ ches die biblischen Lehren bedroht, und als Gegenbild des demütigen religiösen Menschen. Faust ist von der wahren Religion abgefallen, hat einen Teufelspakt ge­ schlossen, mit dessen Hilfe er zahlreiche betrügeri­ sche Taten vollführt – von vertauschten Köpfen bis zu Weinwundern, von Fressorgien bis zum Herbeizaubern von Schlössern –, manche davon im Vatikan und beim Sultan. Sechs Kapitel bereiten die Todesnacht vor. Am Ende beklagt und bereut Faust seinen Abfall von der Religion und den Pakt mit dem Teufel. In der Nacht wird Faust mit Getöse vom Teufel geholt, am nächsten Tag findet man nur mehr verstreute Zähne, Augen, Gehirnteile: Also endet sich die ganze wahrhaftige Historia und Zauberei Doctor Fausti, daraus jeder Christ zu ler- nen, sonderlich aber, die eines hoffärtigen, stolzen, fürwitzigen und trotzigen Sinnes und Kopfs sind, GOTT zu fürchten, Zauberei, Beschwörung und an- dere Teufelswerke zu fliehen […] und Gott alleine zu lieben […] und mit Christo endlich selig zu werden. Amen, Amen, das wünsche ich einem jeden […]. AMEN. 1592  Christopher Marlowe: The Tragicall History of D. Faustus (Drama) Die Tendenz des Dramas: Anteilnahme für Faust Das Schauspiel beginnt mit dem Monolog des von Machstreben, aber vor allem von Wissensdurst und Verlangen nach Schönheit erfüllten Faust und endet mit seinem Schlussmonolog voll Verzweiflung. An die Stelle der hämischen Freude über den Untergang des Teufelsbündlers treten in Marlowes sehr erfolgrei­ chem Drama erstmals Anteilnahme und Respekt für den außergewöhnlichen Menschen Faust. 1599  Bearbeitung des Volksbuches von 1587: Der Glaubwürdigkeit halber werden fiktive Daten einge­ baut. Faust wird in seinem Gelehrtenhochmut und Teufelspakt wieder als Gegentyp zum sündenbewuss­ ten, auf die Gnade Gottes vertrauenden religiösen Menschen gestaltet. 1608  Erste nachweisbare deutschsprachige Auffüh­ rung von Marlowes Stück durch eine Schauspieler­ truppe in Graz. 5 10 15 20 Aufgabe 5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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