Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
48 Spätmittelalter (1250–1450) dafür sind die heutigen aufgekommen. Früher hörte man den Herold rufen: Heißa, Ritter, sei doch fröhlich! Jetzt ruft man den lieben langen Tag: Los, jage, Ritter, los, jage, jag! Stich zu, stich! Schlag drein, schlag zu! Blende den, der vorher sehen konnte! Hau mir dem den Fuß ab; schlag mir diesem die Hand ab! Diesen sollst du mir aufhängen und jenen Reichen fangen: der zahlt uns bestimmt hundert Pfund Silber! […] Die Bauern im ganzen Umkreis erleben alles andere als Freude an mir. Ihre Kinder müssen sich mit Wasserbrei begnügen. Ja, ich tue ihnen noch viel Schlimmeres an: dem drücke ich ein Auge aus, diesen hänge ich in den Rauchfang, diesen werfe ich gefesselt auf einen Ameisenhaufen, jenem ziehe ich mit einer Zange die Haare einzeln aus dem Bart, einem anderen reiße ich die Kopfhaut herunter […]. Was die Bauern besitzen, das gehört alles mir. Schlagen Sie auf Seite 21 die Werte des ritterli chen Tugendsystems nach und vergleichen Sie anhand des „Helmbrecht“, welche Tugenden von den Rittern in „Helmbrecht“ verletzt werden oder verschwunden sind! Das rasche Ende Die Erzählung strebt einem schnellen Ende entgegen. Helmbrecht wird mit seinen Kumpanen gefangen ge nommen, die Kumpane werden gehängt, Helmbrecht wird geblendet. Er sucht den Weg zum Vater, doch „der behielt in niht: er treip in ûz“ . Die Solidarität des Vaters mit den geschundenen Bauern ist stärker, wenn auch dem Vater wegen der Abweisung des Sohnes „sîn herze krachte“ . Helmbrecht irrt blind ein Jahr lang umher, da entdecken ihn Bauern, die er geschändet und beraubt hat: 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 Aufgabe „Los! Drauf!“ riefen sie da und stürzten sich alle zusammen auf Helmbrecht. Wie sie sich so mit Prügeln kräftig an ihm rächten, schrien sie: „Achte auf deine Kappe, Helmbrecht!“ Was der Büttel 1 vorher an ihr heil gelassen hatte, das wurde nun ganz zerfetzt. Ein schlimmes Bild bot sich: kein Fingerbreit blieb von ihr noch beisammen. 2 4 6 8 10 12 1 Gerichtsdiener Die Ritter und die Bauern Die Regeln: Viele mittelalterliche Verordnungen sollten das Verhältnis der Ritter zu den Bauern regeln. Demnach sollte nicht der Befehl, sondern die Bitte die Form des Umgangs zwischen Herrn und Untertan sein. Abgeschlagen werden konnte sie jedoch vom Bauern in der Regel nicht. Doch war ein bestimmter Ritus einzuhalten. Der Herr musste sein Vorhaben ankündi- gen. Wenn er etwas von seinen Bauern haben wollte, etwa Geld – sei es im Kriegsfall oder anlässlich einer Hochzeit –, dann war dies den Bauern angemessen zu erklären, damit sie die Forderung in Würde akzeptieren konnten. Der um 1275 niedergeschriebene „Schwaben- spiegel“ legt die Pflichten auf Gegenseitigkeit fest: „Wir sullen den herrn darumbe dienen, daz sie uns beschirmen. Beschirmen si uns nit, so sind wir ine nicht dienstes schuldig.“ Die Realität: Doch Regeln und Realität waren zweierlei. So berichtet der Mönch Caesarius von Heisterbach um 1240 von einem Ritter namens Ludolf, dem ein Bauer auf der Straße mit seinem Ochsenkarren entgegenkam. Dabei wurden die kostbaren Gewänder des Ritters mit Schlamm bespritzt. Der Ritter geriet in Wut, zog sein Schwert, schlug dem Bauern den Fuß ab. Dass ein solches Verhalten kein Einzelfall war, bestätigen zahlreiche Quellen der Zeit. Info Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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