Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

46 Spätmittelalter (1250–1450) Der Leseraum 1 Der tödliche Fehler des Bauernsohnes Wernher der Gartenære: „Helmbrecht“ (um 1280) Wernher der Gartenære: lange unterschätzt, jetzt hoch gelobt Wernher des Gartenæres nicht einmal 2.000 Verse um­ fassende Erzählung „Helmbrecht“, entstanden um 1280, schildert den Ausbruchsversuch eines Bauern aus seinem Stand und führt gleichzeitig in die Welt der Ritter. Aber es sind nicht die idealen Ritter der Ta­ felrunde, wie Erec, Iwein oder Parzival. Es sind die Rit­ ter der Realität. Aber erst seit Kurzem wird das Epos hoch geschätzt. Dem Autor wird bescheinigt, er habe den „Rang als einer der größten Dichter des 13. Jahr- hunderts nach Walther, Hartmann, Wolfram, Gottfried und dem namenlosen letzten Gestalter des Nibelun- genliedes“. In der Folge finden Sie in neuhochdeut­ scher Übertragung Ausschnitte aus dem Text. Die höfische Kultur braucht die Bauern Sehr selbstbewusst sieht der alte Bauer, Vater Helm­ brechts, im „Helmbrecht“ den Bauernstand: Alle Edelfrauen verdanken der Bauernarbeit ihre Schönheit, und alle Könige verdanken allein der Bauernarbeit ihre Krone. Denn wie vornehm einer auch ist, sein Stolz wäre nichtig, wenn es die Bauernarbeit nicht gäbe. Der alte Bauer warnt Gleichzeitig warnt er seinen Sohn, der nicht mehr Bau­ er sein will, davor, seinen sozialen Stand zu verlassen. Er erzählt ihm von vier Träumen, die er hatte. Träume gelten im Mittelalter viel, sie werden als Fingerzeig und Mahnung gesehen. Der letzte Traum des alten Bauern ist der schlimmste: Junge, alle Träume, die ich bisher geträumt habe, sind noch gar nichts – jetzt aber höre einen letzten Traum. Du hingst an einem Baum; von deinen Füßen waren es bis zum Gras gut zwei Meter; über deinem Kopf saßen auf einem Ast ein Rabe und daneben eine Krähe. Dein struppiges Haar kämmte dir rechts der Rabe, scheitelte dir links die Krähe. Ach, Junge, dieser Traum! Ach, Junge, dieser Baum! Ach, dieser Rabe! Ach, diese Krähe! Erläutern Sie, welches Schicksal des jungen Helmbrecht sich in den Träumen seines Vaters andeutet. Der junge Bauer will Ritter werden: der Reiz der feinen Kleidung Doch Helmbrecht ist ein fescher Bauernsohn mit lan­ gem Haar, einer von Mutter und Schwester prächtig gestickten seidenen Haube und einem prächtigen Rock. Und weil er so hübsch ist und so eine wunderba­ re Haube hat, fällt ihm Folgendes ein: Liebster Vater […] Es kann nun nicht anders sein, als dass ich mir unbedingt einmal die Luft bei Hofe kräftig um die Nase wehen lassen muss. […] Gott soll mich strafen, wenn ich dir jemals wieder die Ochsen ins Joch spannen und den Hafer für dich aussäen würde. Das gehörte sich wirklich nicht bei meinen langen blonden Haaren, meinen gekräuselten Locken und meinem prächtigen Rock und meiner kostbar-kunstvollen Kappe. […] Nein, ich helfe dir niemals wieder ackern. 2 4 6 2 4 6 8 10 12 14 Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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