Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
448 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt hilft die ausgefeilteste taktik auch nichts. und geht die tür jetzt auf, dahinter er, der doktor schauer, oder besser nur der schatten seiner selbst. wirkt nun sogar in dieser hitze noch als würd ihn frösteln. das war dem schlicht beim letzten mal schon aufgefallen, fällts ihm jetzt ein. dass der herr doktor schauer nicht ganz auf der höhe war, dass er nicht mehr den frischesten eindruck vermitteln konnt. und hat sich vor zwei wochen schon gedacht, auch das fällt wieder ihm jetzt ein, dass er sich damals schon gedacht, ob das vom vielen „rehragout“ nicht kommen könnt. weil man doch immer wieder hört, dass so viel wildfleisch essen, also wegen tscherno- byl und auch hier vogelgrippe, schweinepest. also rein gesundheitlich hat er, als er den doktor schauer hat gesehen letztes mal, schon durchaus seine bedenken da gehegt. doch nun gibts keinen zweifel mehr, dass der gesundheitszustand von dem doktor schauer, dass der wirklich bedenklich ist. und drum auch nun peinlichstes schweigen zwischen ihnen. und hat man manchmal das gefühl, dass mit der temperatur, der steigenden, auch so ein schweigen zwischen menschen schlimmer wird. drum wird auch da in diesen cowboy filmen in der hitze der prärie das schweigen gern mal unerträglich, bis einer von den cowboys den andren abknallt dann. und auch jetzt, als dieser schweißtropfen schon über schlichts nasenrücken rollt, wird es, das schweigen, unerträglich. und anstatt ihn jetzt zu fragen, ob ihm das rehragout vielleicht nicht ganz bekommt oder ob er in seinem zustand überhaupt noch lust hätte auf eine weitre packung von dem tiefgefrorenen fertigessen, stattdessen fragt der schlicht jetzt, als dieser schweißtropfen schon an der nasenspitze baumelt, nur: „wie immer?“ im keller. die wände voller jagdtrophäen. geweihe aller art. sogar ein zwölfender. sonst nichts, nur dieser eiskasten, vor dem der doktor schauer steht. der schlicht ist hier zum ersten mal. sonst liefert er die ware für gewöhnlich an die türe. doch nun steht er, die packung rehragout in seinen händen, da im keller drin. und öffnet nun der schauer diesen tiefkühlschrank, dass ein schwall kalter luft raus stürzt und auf dem fliesenboden nebelnd sich verteilt. randvoll ist er, der schrank, schon mit der tiefgefrorenen wildspezialität. jahrelange liefertätig- keit liegt hier auf eis. die untersten packungen gezeichnet schon von übelstem gefrierbrand. „umgerechnet fast ein ganzes reh.“ sprichts aus dem schauer jetzt heraus. im schlicht hat sich eine erleichterung nun breit gemacht, weil diese schuld an schauers gesundheitszustand offensichtlich nicht mehr auf den übermäßigen konsum der tiefkühl- kost zurückzuführen ist. […] während der schauer ihm nun von dem krebs erzählt, der sich in seine lunge frisst, während das kühlgerät zu piepsen schon beginnt, weil ja die tür noch immer offen steht, während das päckchen leicht zu tauen schon beginnt, während draußen die hitze ihren frühnachmittäglichen höchststand nunmehr erreicht, wird auch dem schlicht schön langsam klar, dass es sich hierbei nicht mehr um eine ganz normale tiefkühllieferung mehr handeln kann. ohne umschweife teilt doktor schauer ihm nun mit, dass er sich heute noch das leben nehmen wird. dass er drei schlaftabletten schlucken wird um sich dann in den eisschrank rein zu legen. weil das erfieren bei langsam schwindendem bewusstsein doch die angenehmste weise sei zu sterben. hinüber in die ewigen jagdgründe zu wechseln. dass ihm jedoch der gedanke, auf ewig hier im keller in dem eisschrank drin zu liegen. um von irgendjemand, womöglich noch von seiner schwester irgendwann gefunden dann zu werden, dass ihm dieser gedanke unerträglich sei. dass man vielleicht dann glauben könnte, dass es die hitzewelle war, die ihn da in den eiskasten hineingetrieben. dass er doch auch […] so eine erhabene entschlossenheit, auch da im freitod noch ausstrahlen will. und dass an diesem punkt er, der schlicht, nun in diesem plan auftaucht. dass mit den möglichkeiten, mit seinen tiefkühlunternehme- rischen möglichkeiten man einen transport seines leichnams doch in angriff nehmen könnte. um ihn an einem wohl gewählten ort, da auf der hubertus- warte, dann bei nacht und nebel auszusetzen. wenn dann die ersten sonnenstrahlen ihn erwischen würden, würd er dann langsam wieder auftauen. was des weiteren mit ihm passiert, das wäre für ihn, wisse er sich mal an diesem für ihn so wichtigen ort, wäre für ihn dann von nachrangigem interesse. es würd wohl irgendein passant ihn dann entdecken um die behörden zu verständigen. natürlich würde dabei auch eine nicht kleine summe, die er ange- spart, für ihn, den schlicht, rausspringen. und spürt noch immer diese kälte in den fingern, er, der schlicht, als er schon wieder da in seinem kühltransporter sitzt. morgen abend, sobald es dunkelt, soll er ihn abholen dann, hat er gesagt, der doktor schauer. greift mit den halbgefrorenen fingern 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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