Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]

440 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt denke ich mir. Es ist nie vorbei. Der Krieg ist nie vorbei. […] Er erwischt dich überall.“ Doch es gibt nur zwei Gründe für einen positiven Asyl­ bescheid. Der eine ist der Vater, denn er ist der, der um sein Leben fürchten muss: „Wenn Papa geht, ist Papas Problem kein Grund mehr. Dann ist sein Problem in den Augen der Behörden erfunden. Warum sollte er denn freiwillig in ein Land gehen, in dem ihm der Tod droht. Würde kein normaler Mensch machen. Eben.“ Der zweite Grund ist die Tante Amina, der ebenfalls der Tod droht. Sie aber hat sich aus Scham bisher ge­ weigert, den Behörden ihr Schicksal zu erzählen. „Amina aber würde lieber sterben, als denen etwas zu sagen. Auch uns nicht. Wenn wir aber keinen Grund haben, werden wir alle abgeschoben. […] Wenn Papa nicht zurückgeht, stirbt meine Oma. Wenn Papa zurückgeht, stirbt Papa.“ Fassen Sie die Problematik der Situation zusammen, deuten Sie Aminas Schweigen. Der Schluss: „Solche wie dich können wir hier gut brauchen“ und „Er geht“ Nach Langem ist die Tante bereit, über das von ihr im Krieg Erlittene auszusagen, Madina ist es gelungen, sie dazu zu bewegen. Sie hat überdies erreicht, dass die Tante von einer Frau befragt wird, so dass Amina sich weniger schämt. Der Asylgrund ist gesichert. „Sol- che wie dich können wir hier gut brauchen“ , meint die zuständige Sachbearbeiterin. „Und wirklich, es klingt blöd, aber ich denke: Das weiß ich.“ Am Abend steh ich im Bad und halte die Schere an mein Gesicht. […] Ich nehme eine Haarsträhne, wickele sie um meine Hand. Es wird mir fehlen, dieses Gefühl unter den Fingerkuppen. Ich hebe die Schere hoch, lege die Strähne zwischen die Schneideblätter […] und schneide dann mit einem Ruck die Strähne durch. […] Mein Haar reicht mir nun bis zum Kinn. Komisch sieht das aus. Nackt. […] Der [Biologielehrer] Bast hat mal im Unterricht erzählt, dass die Haare alle Informationen über den Körper speichern. Freude. Stress. Krankheiten. Über Jahre. […] Unten hupt ein Auto. Papa steht auf, seufzt leise, schultert seinen Rucksack und geht zur Tür. […] Er umarmt mich. Ich lege meinen Kopf ganz kurz an seine Schulter. Er fährt mir durch die Haare. „Bis ich wieder da bin, sind sie nachgewach- sen“, sagt er. Ich sage nichts. Ich winke. Papa winkt zurück. Dreht sich um und geht raus. Die Tür fällt zu. Er geht. Wir bleiben da. Ich werde dableiben. ■■ Interpretieren Sie Madinas Haareabschneiden. ■■ Beschreiben Sie den Stil dieses Abschnitts, setzen Sie ihn in Bezug zum Inhalt. ■■ Fassen Sie den Schluss des Buches zusam­ men und bewerten Sie ihn. 21 „…davon auszugehen, dass er bereits während dem Flug erfror.“ Gianna Molinari: „M.d.v.H.f“ (2017/2018) Was bedeutet „M.d.v.H.f.“? Die Schweizer Autorin Gianna Molinari ist Gewinnerin des mit 7.500 Euro dotierten 3-Sat-Preises 2017 bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt, besser bekannt unter dem Titel „Bachmann-Preis“. Ihr Text, den sie dort vorliest, trägt den Titel „Loses Map­ pe“. Ein Jahr später integriert sie diesen Text in ihren Roman „Hier ist noch alles möglich“. Er trägt nun den 8 10 12 14 16 18 Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 Aufgabe Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen­ fassung Literatur­ übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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