Literaturräume, Schulbuch [Prüfauflage]
407 Gegenwartsliteratur – mit Österreichschwerpunkt Die Professorin: Nein nein. Sie liegen ganz ausge- streckt. Können Sie mir nicht endlich sagen, was Ihnen zugestoßen ist? Der Mann (während er versucht aufzustehen) : Gehen’s, schleichen s’ Ihnen. Die Professorin: Ich habe keine Veranlassung zu schleichen, schon gar nicht mit diesem Reflexi- vum. Aber wenn Sie mir nicht sagen wollen, was los ist, gehe ich tatsächlich. Der Mann (wütend) : Ja, hau ab, alte Frittatn! Die Professorin (seufzt) : Was Sie meinen, lieber Herr, ist ,Fregatte‘, in seiner Hauptbedeutung ein dreimastiges Schiff, von primitiven Menschen manchmal pejorativ 1 gebraucht für ‚ältere Frau‘. (Sie wendet sich ab und entfernt sich. Der Mann hat sich inzwischen hochgerappelt und stützt sich an der Mauer ab. Kurze Pause.) Der Mann (ihr nachrufend) : Der Blitz soll dich treffen, Frittatn, tepperte! Die Professorin (dreht sich, weitergehend, zu ihm um) : Frittaten, dass Sie es nur wissen, sind eine Suppeneinlage, in Westösterreich auch Flädle ge -- (Sie hat eine Eisplatte übersehen, gleitet aus, stürzt und bleibt, um Hilfe rufend, liegen. Der Mann taumelt in ihre Richtung.) Der Mann (zum Himmel blickend) : Wenigstens einer versteht mich. (Vorhang) Beschreiben Sie die sprachlichen Ebenen der beiden Personen und deren entgegengesetzte Anliegen. 7 „So pflanzte man sich von einer Finsternis in die andere fort.“ Franz Innerhofer: „Schöne Tage“ (1974) Ganz unten Idyllische Heimatbetrachtung sucht man in Innerho fers Roman vergebens. Die darin geschilderte Welt ist hart – auch schon für die Bauern selbst. Noch viel mehr an Elend und Unterdrückung von allen Seiten er leiden die Knechte und Mägde. Sie stehen ganz unten auf der sozialen Leiter. Mit einer Geheimsprache ver suchen sie zumindest dann und wann ihre Sexualität zu erleben. Eine Ehe einzugehen ist für sie nahezu un möglich. Ein Tag-hinter-sich-Bringen war es. Die Dienstboten und Leibeigenen wurden, sobald einer den Kopf aus der finsteren Dachkammer reckte, sofort in die Finsternis zurückgetrieben. Jahraus, jahrein wurden sie um die Kost über die grelle Landschaft gehetzt, wo sie sich tagein, tagaus bis zum Grabrand vorar- beiteten, aufschrien und hineinpurzelten. Mit Brotklumpen und Suppen zog man sie auf, mit Fußtritten trieb man sie an, bis sie nur mehr essen und trinken konnten, mit Gebeten und Predigten knebelte man sie. Es hat Bauernaufstände gegeben, aber keine Aufstände der Dienstboten, obwohl diese mit geringen Abweichungen überall den gleichen Bedingungen ausgesetzt waren. Ein Kasten und das Notwendigste zum Anziehen waren ihre ganze Habe. Die Kinder, die bei den heimlichen Liebschaften auf Strohsäcken und Heustöcken entstanden, wurden von den Bauern sofort wieder zu Dienstboten gemacht. Die Dienstboten wussten um ihr Elend, aber sie hatten keine Worte, keine Sprache, um es auszu drücken, und vor allem keinen Ort, um sich zu versammeln. Alles, was nicht Arbeit war, wurde heimlich gemacht. Man hatte es so eingerichtet, dass die Dienstboten einander nur mit den Augen, mit Anspielungen und mit Handgriffen verständigen konnten. Wenn irgendwo im Freien eine Magd beim Jausnen von einem Knecht das Taschenmesser nahm, konnten die anderen mit Gewissheit annehmen, dass er noch am selben Abend bei ihr im Bett lag. Umgekehrt gab es natürlich auch Frauen, die den Männern bei der ersten Begegnung sofort die Hosentüren aufknöpften und drinnen umrührten. Wenigstens die Nächte versuchten die Dienstboten an sich zu reißen. So pflanzte man sich von einer Finsternis in die andere fort. 14 16 18 20 22 24 26 28 30 1 abwertend 32 34 36 38 40 Aufgabe 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Überblick Fundament Leseraum Maturaraum Zusammen fassung Literatur übersicht Grenzenlos Fokus Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Ve lags öbv
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